Sozialarbeiter FH, Mediator SDM, systemischer Erlebnispädagoge
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Fachartikel aus der Diplomarbeit im Lehrgang Systemische Erlebnispädagogik:
Bei der Suche nach dem Fokus für diesen Fachartikel unterstützte mich eine Kollegin durch die Begleitung mit einem «Ressourcenkosmos». Ich stellte mit Naturmaterialien alle Methoden auf, mit denen ich anderen helfe, Klarheit zu erlangen. Am Schluss lag die ganze Methoden-Palette der kreativ-rituellen Prozessgestaltung sowie der systemischen Gesprächsführung vor mir – in der Mitte eine Mistel als Symbol für Achtsamkeit und Wahrnehmung. Später las ich in «Wagnisse des Lernens», dem Grundlagenbuch für kreativ-rituelle Prozessgestaltung, dass Wahrnehmung als zentrale Kompetenz mit den kreativ-rituellen Arbeitsprinzipien verknüpft ist (Kreszmeier; Hufenus, S.55). So fand ich im Fluss des Geschehens meinen Fokus.
Ich folge in diesem Fachartikel der Struktur von Kreszmeier/Hufenus und erläutere zuerst die Orientierung an Ressourcen, Lösungen, Handlungen und am Prozess. Schliesslich wird das letzte der fünf Arbeitsprinzipien eingeführt, die Wahrnehmung. Daran anknüpfend, folgen Überlegungen und Theorien, wie die leitende Person ihre Wahrnehmungsqualität steigern und so die kreativ-rituelle Prozessgestaltung positiv beeinflussen kann.
„Die Ausrichtung auf die Fähigkeiten der Menschen, auf ihr Potenzial und das was sie bereits gut machen, bewirkt eine Veränderung der Einstellung sowohl bei der Leitung als auch bei beim Begleiteten.“
Andrea Zuffellato
Ressourcenorientierung gehört zu den Grundsätzen systemischer Haltung. Durch die Fokussierung auf die Ressourcen von Menschen werden diese als selbstverantwortliche, gleichberechtigte Partner gesehen. Die Ausrichtung auf die Fähigkeiten der Menschen, auf ihr Potenzial und das was sie bereits gut machen, bewirkt eine Veränderung der Einstellung sowohl bei der Leitung als auch bei beim Begleiteten. Menschen werden zu Experten ihres Lebens und dadurch in die Verantwortung genommen. Unter Ressourcen werden verstanden (Zuffellato; Kreszmeier, 2012, S.139):
vorhandene Fähigkeiten, vorhandene, aber nicht mehr oder noch nicht zugängliche Fähigkeiten, hilfreich erlebte Fähigkeiten, hilfreich erlebte und erinnerte Beziehungen, hilfreich erinnertes Problembewältigungsverhalten.
Positive Ausnahmen zum Bestehen eines Problems werden erkundet und erwünschte Unterschiede verstärkt. (Zuffellato; Kreszmeier, 2012)
Bamberger spricht von fünf Suchbereichen, die sprachlich erkundet werden: Bereiche, wo es dem Menschen gut geht, Verhaltensmerkmale, die direkt in der Begleitung als Stärken deutlich werden, Situationen, in denen eine ähnliche Herausforderung bereits erfolgreich bewältigt wurde, Verhaltensmerkmale und Lebensumstände, die von anderen Personen bewundernd hervorgehoben worden sind sowie Verhaltensmerkmale und Lebensumstände, die noch stärker entwickelt werden könnten und dann evtl. sehr hilfreich wären. Dieses «Ressourcing», wie Bamberger es nennt, zielt auf die Aktivierung von bislang brachliegenden Fähigkeiten und Möglichkeiten ab – auf die «Hebung von Schätzen ins Licht des Bewusstseins» (Bamberger, S.61-62). Als Anker für die fünf Suchbereiche bietet sich die Hand geradezu an.
Nebst sprachlicher Begleitung kann es auch hilfreich sein, intuitiv zu arbeiten. Zum Beispiel bei der Kreativtechnik «Ressourcenkosmos» die Hände walten zu lassen und so Unbewusstes an die Oberfläche zu heben. Ressourcenorientierung geht von zwei Prinzipien aus: 1. Das was ist, ist wertvoll und 2. das was ist, wird gebraucht!
Etwas ist wertvoll und wird gebraucht, «diese Botschaft ist ein Schlüssel zu den Schätzen, welche in Menschen, Gruppen und Systemen leben. (…) Sie appelliert an die aktiven Kräfte und macht aus einem hilfsbedürftigen Opfer einen lebendigen Mitgestalter». Ob das Glas halb voll oder halb leer ist, «Ressourcenorientierte Begleitung kann sich erlauben, die Leere Leere sein zu lassen, denn sie geht davon aus, dass diese Leere – so unangenehm sie auch sein mag – einen Sinn, einen Wert, einen Nutzen hat.» Sie geht davon aus ,das der Andere alles in sich trägt, was er braucht um damit umzugehen. (Kreszmeier; Hufenus, S.39). Ressourcenorientierung meint nicht, Fehler, Probleme und Defizite auszublenden. Es ist wichtig diese zu kennen und anzuerkennen. Sie konzentriert sich jedoch auf die Förderung von Ressourcen und auf das Umdeuten von blockierendem Verhalten. Sie will in erster Linie Stärken stärken und nicht vermeintliche Schwächen schwächen.
Ressourcenaktivierung ist einer der wirkungsvollsten Faktoren, um gewünschte Verhaltensänderungen herbei zu führen. Das belegen zahlreiche Forschungsergebnisse (Bamberger, S.62).
Viele Tätigkeiten in der Erlebnispädagogik zielen darauf ab, den Menschen Zugang zu ihren Ressourcen zu ermöglichen, ihnen Handlungsfelder zu bieten, um neue Ressourcen zu entdecken, oder vorhandenen Ressourcen neue Bedeutung zu geben. Die Settings in der systemischen Erlebnispädagogik sind so vielfältig gestaltet, dass Menschen ihre unterschiedlichen Ressourcen einbringen können. Die Leitung achtet darauf, dass diese auch genutzt werden, sei es durch spezielle Aufgaben oder durch das übergeben von Leitungssequenzen. Es entsteht eine Atmosphäre, in der jede oder jeder etwas besonders gut kann oder ein Spezialist für seinen Bereich ist. Ein gelungenes Beispiel dafür sind die Teambildungs-Workshops mit Schulklassen, die im Praxisbericht beschrieben werden.
Lösung bezieht sich sowohl auf den Zustand, in dem ein Problem nicht mehr existiert als auch auf den Weg dahin. Traditionell analysieren Berater das Problem und schliessen daraus auf die Problemlösung. Der lösungsorientierte Berater favorisiert eine andere Reihenfolge. Als Ideenquelle für erfolgreiches Problemlösen schaut er sich die Situation genauer an, wenn das Problem gelöst ist. Das scheint auch für den Klienten sinnvoll: Es dürfte leichter sein, sich von einer attraktiven Vision ziehen zu lassen, als mühsam von etwas wegzukommen. Die Kraft ergibt sich aus dem Zielbezug.
So fragen wir denn auch bei den meisten KRPG Methoden zu Beginn der Sequenz «Was wäre das bestmögliche Ergebnis (dieser Übung, dieser Reise, etc.)?» Bamberger nennt das «die lösungsorientierte Zentralfrage (Bamberger, S. 101):
Lösungsinterventionen
> Eigenen Beobachtungen: «Woran wirst du merken das dein Problem gelöst ist, was ist dann anders?»
> Verankerungen im Körper: «Wo würdest du das spüren, wie fühlt es sich an, wenn du den Zielzustand erreicht hast?
> Beobachtungen von Andern «Was würde Aussenstehenden als Erstes auffallen?»
Lösungsorientierung ist eine wichtige Grundhaltung innerhalb der kreativ rituellen Prozessgestaltung. Sie geht davon aus, dass es für jeden Menschen, gleich in welcher Situation, einen nächsten sinnvollen und notwendigen Schritt gibt. Der Sinn ergibt sich aus dem Lebensweg des Protagonisten, nächste Schritte entstehen aus dem Moment und aus der Selbstverantwortung der Arbeitenden. Es ist deshalb wichtig, dass die Leitung nicht Lösungsvorschläge macht, auch wenn sich das für das Selbstwertgefühl vielleicht gut anfühlen würde. Eine besserwissende Haltung ist dem anderen bei der Suche nach dem nächsten sinnvollen Schritt im Wege. Lösungsorientierung bedeutet, dass die Leitung die Menschen an die Existenz von Lösungen erinnert, nicht dass sie Lösungen für die Menschen bereitstellt (Kreszmeier; Hufenus, S.43).
Eine weitere Grundhaltung der KRPG ist die Überzeugung, dass Lösungshinweise- und Impulse, bis hin zu klaren Lösungsbildern sich durch den Arbeitsprozess zeigen.
Lösungs- und Ressourcenorientierung sind nicht nur Techniken, die während der Arbeit angewandt werden, sondern bestenfalls Haltungen, die von den Protagonisten übernommen werden und so auch im Nachhinein aufrechterhalten bleiben und wirken.
Es klingt einfach – und doch fällt es schwer, sich den Ressourcen in und ausserhalb von uns zuzuwenden. Weshalb? Kreszmeier und Hufenus machen dafür zwei Besonderheiten der westlichen Kultur verantwortlich.
Wir sind im Zeitalter des Individualismus – Unser Ego möchte gerne Bestätigung erhalten. Der Blick auf die Probleme und die Mängel des Anderen nährt das Ego des Trainers, der Pädagogin, des Helfers – denn er ist der Held, der die Probleme löst. Beim ressourcenorientierten Ansatz findet der Betroffene oft selbst zu seiner Lösung. Die Begleitperson bleibt im Hintergrund, sie ist kein Star.
Zweitens ist die von der christlichen Tradition geprägte westliche Kultur «eine Kultur der Schuld».
Bert Hellinger meint, dass gemäss der Systemdynamik das Leiden den meisten wichtiger ist und auch leichter fällt als die Lösung. Aus dem einfachen Grund, weil derjenige, dem es schlecht geht, sich unschuldig fühlt, während der, dem es gut geht, sich schuldig fühlt.
Der Frage «Warum ist etwas so schwierig?» entgegnet die Ressourcenorientierung: «wie kann es trotzdem gelingen?». Zuerst gilt der Grundsatz, bei sich selbst zu beginnen. Wer sich selbst nur mit kritischen Augen betrachtet, wird Mühe haben andere mit wohlwollenden Augen zu sehen und ihre Qualitäten wahrzunehmen. Es gilt also, sich selbst «als Quelle und Träger von reichhaltigen Schätzen zu erforschen und zu erkennen» (Kreszmeier; Hufenus, S. 45). Obschon das Wissen darüber allgemein bekannt ist, fällt es den meisten Menschen einfacher Schwächen zu benennen als Stärken. «Jedes Mal bin ich wieder überrascht, wie schwer es den Menschen fällt, ohne Scheu oder Zynismus ihre guten Fähigkeiten zu erwähnen» so Kreszmeier. Ihre Einladung lautet dann, in den unterschiedlichen Bereichen seines Lebens (Familie, Beruf, Freizeit) nachzuforschen und die eigenen Qualitäten zu entdecken. Seine eigenen Stärken zu kennen, heisst nicht, den anderen, schwächeren Teil zu verleugnen. Im Gegenteil hilft es wahrscheinlich sogar, die eigenen Schwächen anzunehmen. Ein solches Bewusstsein ist «die Grundlage für ressourcenorientiertes Schaffen – alle jene, die so arbeiten, werden immer wieder auf Forschungsreisen unterwegs sein müssen».
Weiter ist zentral, unterscheiden zu lernen zwischen schwächenden und stärkenden Haltungen und Verhaltensmustern und sich bewusst letzteren zuzuwenden. «Stärkend ist alles, was hilft, den nächsten Schritt zu tun, schwächend ist jenes das uns davon abhält».
Sich dem Stärkenden zuzuwenden beinhaltet auch, dass man sich selbst und den anderen zumutet, den eigenen Weg und Hindernisse, die dabei auftauchen, zu meistern. Dabei wird man sich darauf einstellen müssen, nicht der zu sein, der alle Wünsche erfüllt. Weil immer das höhere Ziel des Protagonisten handlungsleitend ist, wird man auch Fragen stellen oder Vorschläge machen, die dem andern auf den ersten Blick nicht liebevoll erscheinen.
«Das ist eine der grössten Herausforderungen für Menschen, die mit Menschen arbeiten, dass sie der Verführung, des «Geliebtsein- Wollens» widerstehen. Wer die Akzeptanz, die Liebe, die Anerkennung der Menschen, mit denen er oder sie arbeitet, zu sehr braucht, wird unfrei im Handeln». Aus der überhöhten Vorsicht zu verletzen und dadurch vom Gegenüber die Akzeptanz zu verlieren, kommt die Bereitschaft mit zu leiden. Man macht den andern unmündig indem man Informationen vorenthält. «So lebt der eigene Selbstwert von der Schwäche des andern». (Kreszmeier; Hufenus, S. 47)
Wo bleibt aber in diesem Ansatz das Mitgefühl? «Es mag hilfreich sein, sich immer wieder das Bild des Lebensflusses vor Augen zu halten. Stärke ist, was jenen Fluss fliessen lässt, Schwäche, was ihn daran hindert». Wenn also jemand einen geliebten Menschen verliert, Krankheit, Trennung oder Unglück erfährt, «so ist es natürlich – im Fluss – zu trauern, verängstigt, schockiert zu sein». Angst, Wut und Trauer stehen in dem Fall dem Fluss nicht im Weg, sondern das Gegenteil ist der Fall. Ein schnelles überspielen, ein zum Tagesgeschäft übergehen könnte eine Schwäche sein. Es geht also darum zu erkennen «was steht an? Was ist gerade jetzt lebendig und will gesehen werden?
Die Zuwendung zum Stärkenden setzt voraus, dass Bedürfnisse wahrgenommen und respektiert werden. «Um das tun zu können, braucht es die Fähigkeit mitzufühlen, aber nicht mit zu leiden.» Mitgefühl glaubt an die Kraft und den Lebensweg der Menschen und sieht auch in der Krise das Prozesshafte, die Möglichkeit für Entwicklung. Oder mit eigenen Worten: Mit der Sicht, auch schmerzhafte Veränderungsprozesse als Heldenreise wahr zu nehmen, gelingt es, Mut und Kraft aufzubauen, um weiter zu gehen. Mitleid hingegen denkt, «du Arme, ich glaube auch nicht, dass du es schaffst!» Es ist, wie wenn jemand in eine Grube gefallen ist und man steigt selber hinunter, statt eine Leiter zu reichen.
Zusammengefasst einige Anregungen und Fragen für eine erfolgreiche Hinwendung zu den Ressourcen (Für Leitende wie auch Begleitete).
Handelnd nach Lösungen suchen ist eine der frühen Prämissen der Erlebnispädagogik. So soll nicht allein mit Worten über Probleme «gequatscht» werden. Sprache kann zwar wirksam sein, aber auch täuschen, ablenken und verwirren. Handlungen und Körpersignale jedoch zeigen oft unmittelbar und ungeschminkt, was Sache ist. Durch Handlung werden persönliche Muster schneller sicht- und erkennbar. Handlung ist jedoch nicht nur hilfreich zum Erkennen was ist, auch im Lernen von etwas Neuem ist sie wertvoll. Unter Handlung wird verstanden: menschliches Verhalten, dass die Handelnden mit einem persönlichen Sinn verbinden. Deshalb schliesst es sowohl sprachliches als auch nichtsprachliches Verhalten mit ein.
Handlungsorientierung als Grundprinzip der kreativ rituellen Prozessgestaltung geht von der Annahme aus, dass der Mensch ein vielschichtiges und ganzheitliches Wesen ist. Handlungsorientierung geht davon aus, «dass Lernen intensiver und dauerhafter ist, wenn das Lernsetting für möglichst viele Ebenen Erfahrungen, Impulse, Verstärkungen und Aufgabenstellungen bietet.» (Kreszmeier; Hufenus, S. 49) In diesem Sinne geht es nicht nur um körperliches Handeln (Bewegung, Sport), sondern auch um gefühlsorientiertes, mentales und geistiges Handeln.
Bei einem systemischen Verständnis und einem lösungs- ressourcen- und handlungsorientierten Ansatz ist Prozessorientierung die nächstliegende Arbeitsform. Prozessorientierung heisst nicht einfach laufen lassen, wie man annehmen könnte. Ziele gehören mit zum Prozess. «Prozessorientierung ist die Ausgewogenheit zwischen Zielorientierung und Beziehungsorientierung» (Kreszmeier; Hufenus, S. 50)
Wenn wir nur auf der Beziehungsebene arbeiten, geht es den Leuten vielleicht emotional gut, aber sie kommen nirgendwo hin. Wenn wir nur pfeilgerade aufs Ziel lossteuern, bleibt vielleicht Wichtiges auf der Strecke und wird uns später einholen. Prozessorientierung ist ein Weg, der zwischen der Beziehungsebene und der Zielebene hin- und her pendelt. Der schnellste Weg zum Ziel ist oft nicht das begehen einer geraden Linie.
Eine schöne Formulierung findet sich im Erfahrungsbericht von Susanne Doebel und Robert Hepp:
«Es braucht viel Vertrauen, wenn man in prozessorientierter Haltung leiten will. Es ist fast so, als wäre dieser Prozess ein Wesen, das seinen eigenen Gesetzten folgt. Man bietet ihm einen Rahmen und eine Richtung, und dann macht es, was es will. Man muss es aushalten und geschehen lassen können, was man durch den Auftrag oder das momentane Ziel gerufen hat. Letztlich ist der Weg das Ziel. Falls man konkrete Bilder im Sinn hat, wie der Prozess genau vonstatten gehen sollte, damit er als erfolgreich gelten kann, gerät man leicht ins Schwitzen, wenn es dann ganz anders verläuft. (…) Will ich mich auf einem Fluss bewegen, den ich noch nicht kenne, schaue ich vorher auf die Karte, wohin er fliesst und wo ich aussteigen will. Später ist es aber der Fluss, der meine Bewegung bestimmt und seine Stromschnellen, Hindernisse, Biegungen, Landschaften fordern mich zu Reaktionen und immer neuen Perspektiven heraus, sie verlangen meine Gegenwärtigkeit. Ich kann mich auch am Ufer festhalten, aber auf Dauer muss ich mich doch entscheiden, mich dem Wesen des Flusses hinzugeben oder lieber zurück ans Ufer zu gehen.»(Kreszmeier; Thomas, (Hrsg.), S.30)
«Prozessorientiertes Leiten heisst dorthin zu gehen, wo die besten Ressourcen oder die meiste Energie ist.»Das kann auch heissen, dass man vorerst vielleicht etwas tut, das auf den ersten Blick nichts mit dem Ziel zu tun hat. Wenn zwischen dem Hier und Jetzt und dem Ziel eine «Achse» installiert ist, die Energie und die Aufmerksamkeit da sind, geht der Prozess jedoch den richtigen Weg.
Das kann auch heissen, dass neue Ziele entstehen, die sich «aus dem lebendigen Bezug» ergeben, wie es Bert Hellinger nennt. (Hellinger in Kreszmeier / Hufenus, S.52)
Auch die Gesprächsbegleitung folgt den Grundlagen der Prozessorientierung. Sprachgebrauch und Inhalte werden vom Protagonisten bestimmt. Aufgenommen und verstärkt werden die für ihn wichtigen Aspekte, wie im Praxisbericht «Naturstadt Coaching» deutlich wird:
Im nächsten Augenblick fällt K. etwas im Wasser auf und ich hebe es auf. Es ist eine Platine von einem Computer mit zwei Kabel. K. bemerkt, es sehe aus wie ein Sprengsatz. Ich nehme das Bild auf und frage sie, wie die Situation wohl aussähe, wenn alles in die Luft gesprengt und in neuer Ordnung wieder zu Boden kommen würde. Als sie darauf keine Antwort weiss, schlage ich vor, einen Sozialkosmos zu machen, bei dem mit Gegenständen, die am Boden gelegt werden, eine Situation verbildlicht werden kann. K. findet die Idee gut und kommt durch die Übung zu vertiefter Erkenntnis, wie sie ihr Ziel erreichen kann.
Wie ersichtlich wird, interveniert die Leitung nicht nur auf der sprachlichen Ebene prozessorientiert, sondern auf möglichst vielen Ebenen. Nebst der Orientierung an der Lösung gilt dabei: eine ehrgeizige und besserwissende Begleitung ist der Tod jeder guten Lösung und jedes Prozesses.
Die Prozessorientierung basiert auf der Grundannahme, dass sich die wesentlichen Erkenntnisse und Lernerfahrungen aus dem Arbeitsverlauf heraus ergeben, sozusagen «manifestieren». Die «Manifestation des Wesentlichen» kann man zwar nicht direkt steuern, durch prozesshaftes Vorgehen jedoch den Raum eröffnen und das Geschehen als Leitperson dadurch ermöglichen:
«Ein gut verdichteter Prozess (der die Manifestation des Wesentlichen begünstigt) zeichnet sich durch einen hohen Beteiligungs- und Konzentrationsgrad der Teilnehmenden, durch koinzidente Ereignisse und die Erfahrung des «Im-Fluss seins» aus». (Kreszmeier; Hufenus, S.55).
«Es ist kaum zu übersehen, dass die Sache mit den Lösungen, den Handlungen und den Prozessen untrennbar an eine Zentralkompetenz geknüpft ist: an die Fähigkeit der Wahrnehmung.» Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll der Begriff der Wahrnehmung hier näher erforscht werden.
Die Wahrnehmung ist «aufgrund ihrer Subjektivität und Selektion eine verflixte Sache.» Die Wahrnehmung wird von unterschiedlichen bewussten und unbewussten Faktoren zur gleichen Zeit beeinflusst, «von Sinnesfähigkeiten, Beziehungsqualitäten, emotionalen Anteilen, Absichten, Prägungen und vieles mehr.» Genauso wie es für das Auge unmöglich ist, sich selbst zu sehen, gelingt es uns weder als Privatmenschen noch als Professionelle, unsere Wahrnehmung in ihrer Ganzheit zu erfassen. «Der blinde Fleck bleibt» (Kreszmeier; Hufenus, S.55).
Um Missverständnissen vorzubeugen, ist es im kreativ-rituellen Kontext wichtig, zwischen Beobachtung und Interpretation sowie zwischen Wahrnehmung und Intuition zu unterscheiden.
«Sie mag mich» meint einer, weil er beobachtet wie sie lächelt. «Sie ist unfreundlich» meint ein anderer, weil er beobachtet, dass sie sich von ihm abwendet.
Im Alltag passiert es oft, dass Beobachtung und Interpretation ineinanderfliessen und zu einer scheinbaren Wirklichkeit werden. Dies führt zu zahlreichen Missverständnissen und Ärgernissen.
Wer mit Menschen arbeitet, sollte deshalb nach Kreszmeier und Hufenus bewusst damit umgehen und üben, seine Beobachtungen und Interpretationen auseinander halten zu können. «Was beobachte ich und welche Schlüsse ziehe ich daraus? Was fällt mir besonders auf und was übersehe ich vielleicht? «Welche meiner Annahmen wird damit bestätigt?», könnten Fragen sein, die dabei unterstützen.
Während die Beobachtung ein zielgerichtetes und detailhaftes Schauen und Hören beinhaltet, wird im kreativ-rituellen Kontext unter Wahrnehmung etwas anderes verstanden. «Eine Art unfokussierte, absichtslose Kontaktaufnahme nach Aussen, eine ganzsinnliche Hinwendung zur Welt.»
Es ist eine andere Art Aufmerksamkeit, die in therapeutischen und pädagogischen Kontexten als «Raum des Gewahrseins» bezeichnet wird. Beobachtung konstruiert in erster Linie Bildinformationen, Wahrnehmung hingegen kann in uns verschiedenartige Resonanz auslösen, die generell unter Intuition verstanden werden: Einfälle, Ahnungen, innere Bilder, Handlungsimpulse, etc.
Die Intuition steht zur Wahrnehmung ähnlich wie die Interpretation zur Beobachtung. Ebenso wie die Perspektive des Beobachters die Interpretation beeinflusst, knüpft die Intuition an die Haltung des Wahrnehmenden. Deshalb ist es wichtig, sich darüber bewusst zu sein, aus welchem Zustand heraus man wahrnimmt.
Innerhalb der kreativ-rituellen Prozessgestaltung ist sowohl die Beobachtungs- als auch die Wahrnehmungsgabe wichtig. Der Begriff Wahrnehmung dient als Gefäss für Beides. Für Beobachtung und Wahrnehmung im obigen Sinn.
Starke Parteilichkeit oder emotionale Betroffenheit, Vorurteile aber natürlich auch die körperliche Verfassung beeinträchtigen unsere Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit und prägen unsere Interpretationen und Intuition. Dagegen gibt es keine endgültigen Rezepte, so Kreszmeier und Hufenus, sondern nur die Bereitschaft zu üben, Erfahrungen zu sammeln und zu reflektieren und auf diesem Weg die Selbstwahrnehmung zu schärfen, sich bewusster zu werden: «Wie nehme ich wahr?»
Der Fachartikel beleuchtet deshalb nachfolgend drei Faktoren, welche die Wahrnehmung schulen, von Einschränkungen befreien und die Selbstwahrnehmung schärfen.
«Man denkt darüber nach, wer man ist, wie man denkt und wie man in bestimmten Situationen reagiert. Was ist einem wichtig und was nicht? (Lama Jigme Rinpoche, 2006 S.25) Wie beeinflussen meine Werte die Art und Weise, wie ich eine Situation wahrnehme? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich zuerst seiner Werte bewusstwerden. Nützliche Anregungen dazu finden sich in den Ausführungen von Christian Galvéz zur Methode «Heldenreise». Zuallererst braucht es die Einsicht, dass es wichtig und notwendig ist, sich dafür regelmässig eine Auszeit zu nehmen. (Galvez, 2014, S.125)
«Stellen sie sich vor, etwas Grosses ist in ihrem Garten in den Teich gefallen. Was war es? Ein Stein? Ein Meteorit? Sie gehen hin, können aber nichts erkennen, der sonst glasklare Teich entpuppt sich als trüber Tümpel. Es dauert über eine Stunde, bis sich die braune Suppe setzt und Sie wieder den Durchblick haben. Dann ist Ihnen plötzlich alles klar.»
Unser Alltag ist durch Termine, mediale Dauerberieselung und sonstige Verpflichtungen bestimmt, die Wahrnehmung dadurch getrübt. Um das Wesentliche wahrnehmen zu können, braucht es eine Auszeit. «Den Ruf des Helden wahrnehmen», wie Galvez es ausdrückt, geschieht nicht zwischen Tagesthemen, Zähneputzen und Schlafengehen. Oder wie Zuffelato es beschreibt: «Selbstreflexion braucht genügend Distanz zum Geschehen und genügend Zeit, um sich auf sich selbst einzulassen.» (S.23) Auch Menschen, die ich in Coachings begleitet habe, bestätigten dies. Sie erwähnten oft an erster Stelle, dass Ihnen das örtliche Fortbewegen die nötige Distanz zum Alltag verschafft hat. Der Einbezug von natürlichen Schwellen (z.B. ein Staudamm) als Übergänge in einen neuen Raum hat die Protagonisten zusätzlich unterstützt, in sich gehen zu können.
Werte, die einen prägen, kann man zum Beispiel erkunden, indem man sich mit seiner Biographie auseinandersetzt. Planoalto bietet dafür spezifische Module an. In den darin enthaltenen Methoden «Führungslinie» und «Lebenslinie» wird mit kreativen und szenischen Methoden erfahrbar gemacht, welche Personen und Geschehnisse einen geprägt haben. Dadurch wird bewusst, welche Entscheidungen den Fluss des Lebens unterstützt oder eher belastet haben und welche Verhaltens- und Sichtweisen erlernt wurden.
Hilfreich bei der biographischen Erkundung von Werten und Ressourcen sind auch die Fragestellungen im «Logbuch für Helden». Die Fragen erforschen gezielt «Heldenmomente» im eigenen Leben. Momente, in denen man seinem Leben selbstbestimmt eine gute Richtung gegeben hat. Das sechsstufige Modell dazu findet sich im Anhang. (Galvez, 2014, S.147)
Noch tiefer greifend ist die Auseinandersetzung mit der Methode «Generation Code», welche die erfahrenen Familientherapeutinnen Lück und Alexander entwickelt haben. Ihre langjährige Erfahrung mit transgenerationalen Prozessen hat ihnen verdeutlicht, mit welchen Gesetzmäßigkeiten die Lebensthemen der Vorfahren unser eigenes Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Partner- und Berufswahl bestimmen. Lück und Alexander weisen anhand von zahlreichen Fallbeispielen und wissenschaftlichen Forschungen nach, dass Verhaltensweisen über mehrere Generationen weitervererbt werden und dies zum Teil sogar in den Genen nachgewiesen werden kann. (Lück, 2016). Sabine Lück begleitet einen Teil des planoalto -Moduls «biographische Prozesse begleiten» und bietet auch eigene Selbsterfahrungskurse und Ausbildungen an.
Die Kenntnis der eigenen Werte und Einstellungen durch Biographiearbeit ermöglicht es, Spannungsfelder zwischen eigenen Werten und denjenigen der Protagonisten bewusst einzuordnen und dadurch besser auszuhalten (Zuffellato, 2014).
Um zu prüfen, ob man seine Werte auch tatsächlich lebt, stellt John Strelecky in seinem Buch «The Big Five for Live» spannende Fragen, wie z.B.: «Wenn ich den Tag in Bilder und Videos fassen und in einem Museum ausstellen würde, wie viele Szenen würden dem entsprechen, was mir wichtig ist?» (Strelecky, 2009, S.24) Würde ich mich auf den Bildern verhalten wie ich es mir wünsche oder laufe ich Gefahr, wie Ödön von Horvath (1901 – 1938) sagen zu müssen: „Eigentlich bin ich ganz anders – aber ich komme so selten dazu.“ (in Bolliger-Salzmann, 2014, S. 27).
Hat man ein Bild von seinen Werten und Mustern gewonnen, hat erkannt was nützlich ist und was nicht, geht es noch darum, dies im Alltag umzusetzen. Dies ist einfacher gesagt als getan. Jon Kabat Zinn, welcher das weltweit bekannte Programm «Mindfull Based Stress Reduction (MBSR)» entwickelt hat meint dazu:
«Manchmal wissen wir etwas kognitiv oder intuitiv besser (was zu tun wäre), aber wir haben uns nicht genügend entwickelt, um uns emotional von bestimmten Ansichten und Reaktionen zurückzuhalten, die Gewalt und Leid für andere und uns selbst erzeugen. Wir sind nicht wirklich in unserem Körper, verlieren uns in der Zukunft oder Vergangenheit, sind ständig am Denken, Denken und in den üblichen Geschichten verfangen, die wir konstruieren, um uns unsere momentane Lebenslage zu erklären. Vieles davon reaktiv und unwahr, von unseren Emotionen getriggert, ohne dass wir es merken. (…)
Indem wir mittels stetiger, täglicher (Meditations-) Praxis unseren «Achtsamkeitsmuskel» trainieren, verschieben wir unseren Grundzustand von der Unachtsamkeit zur Achtsamkeit. Das bedeutet, gegenwärtig zu sein», (Kabat Zinn in Hammer (Hrsg.), 2019) «Achtsamkeit bedeutet: Disconnect to reconnect.» Es geht nicht um meditative Entrücktheit, sondern um die Rückkehr ins eigene Leben.»» In der Achtsamkeitshaltung erproben wir unsere Fähigkeit, anders als in den Reflexen von Zorn, Angst, Neid und Furcht auf die Welt zu reagieren. «(Horx, 2017, S.14)Dieses «Wiedergewinnen der inneren Macht» gilt besonders auch für Gedanken über sich selbst, denn «man muss sich nicht alles von sich selbst gefallen lassen» wie der Psychologe Viktor Frankl sagte. (Frankl in Horx, 2017, S.14)
Achtsamkeit ist auch in der Kommunikation sehr unterstützend. Sie verhilft insbesondere beim «besseren» Zuhören, weil man mit der eigenen Aufmerksamkeit beim Protagonisten bleiben kann, und die eigenen Gedanken und Bewertungen vorbeiziehen lässt. Präsent sein und wahrnehmen, ohne gleich zu reagieren. Auch an diesen Reiz-Reaktionsmustern setzt Achtsamkeit an, so der Psychotherapeut Dr. Marc Loewer im Interview mit dem Achtsamkeits Magazin «Moment by Moment». Diese Qualität des offenen Daseins und Zuhörens wird von den Patienten als wirklich wertvoll empfunden und unterstützt den Heilungsprozess, wie Studien belegen. (Loewer in Hammer (Hrsg.), 2019). Gleichzeitig gibt es Momente, wo man in der Leitung oder als Experte gefragt ist und nicht als emphatischer Zuhörer. Die Kunst besteht darin, zwischen diesen beiden Rollen pendeln zu können und zu wissen wo man gerade steht. Obwohl in der KRPG mit eigenen Hypothesen und Ratschlägen sehr zurückhaltend umgegangen wird, gibt es dennoch Situationen, wo sich ein Impuls so deutlich zeigt, dass man nur noch schlecht zuhören kann. Es kann dann hilfreich sein, seine Wahrnehmung zu artikulieren, jedoch im Wissen, dass man nicht weiss (und manchmal glaubt zu wissen). Diese Haltung zu leben ist ein hoher Anspruch, der nicht immer erfüllt werden kann. «Im schlimmsten Fall mach ich den Satz fertig», sagt der Achtsamkeits-Forscher Prof. Dr. Schmidt im gleichen Interview unter Gelächter. «Das ist das Prozesshafte, indem wir uns mittendrin befinden und natürlich ständig ins Fettnäpfchen treten», so Loewer. So entwickeln wir uns ständig weiter.
«Um sich des inneren Gefühlsmeeres bewusst zu werden, gibt es kein besseres Mittel als täglich eine halbe Stunde richtig gelernte Meditation», pointiert Lama Ole Nydahl. Er lehrt als westlicher Lehrer (Lama) tibetischen Buddhismus in zeitgemässen Stil. (2005, S.94) In Vorträgen betont er, dass sogar 10 Minuten täglich besser ist als keine Meditation. Denn die Regelmässigkeit macht es aus, dass ein innerer Abstand zum Gedankenstrom und zu den Gefühlen gewonnen wird.
Am bekanntesten ist sicherlich die Meditation auf den Atem. Man sitzt dabei gerade und achtet auf den Luftstrom, der an der Nasenspitze kommt und geht. Man spürt wie der Atem natürlich kommt und geht. Schweift man gedanklich ab und bemerkt dies, nimmt man dies einfach zur Kenntnis und kehrt zur Beobachtung des Atems zurück. Diese haltende und beruhigende Art der Meditation wird damit verglichen, ein Pferd anzubinden. Es bleibt jetzt an einer Stelle, statt jedem nachzulaufen, und lernt zu sehen, was ist. Wird durch viele Wiederholungen in der Meditation erkannt, dass man die Wahl hat, auf aufkommende Gedanken und Gefühle einzugehen oder nicht, gelingt dies auch im Alltag besser und man kann eher den eigenen Überzeugungen, Erkenntnissen und professionellen Richtlinien gemäss handeln.
Wenn man beispielsweise kritisiert wird, und sich deswegen angegriffen fühlt, kann man trotzdem darauf eingehen, worum es der anderen Person geht und seine Emotionen zurückstellen. So gelingt es besser, «zuerst zu verstehen, dann verstanden zu werden» und damit einen wichtigen Grundsatz für gelungene Kooperation zu beachten. (Stephen Covey in Zuffellato, 2014 S. 27).
Bemerkt man aber (dank der gewonnenen Achtsamkeit schon frühzeitig), dass die Wahrnehmung stark beeinträchtigt ist und man Gefahr läuft, das störende Gefühl auszuleben, statt auf die andere Person einzugehen, wirkt ein kurzer Spaziergang oft Wunder, so Lama Ole Nydahl. Einschübe wie «Ich muss mal kurz auf Toilette oder die Parkkarte umstellen», helfen aus der kritischen Situation heraus zu kommen und nicht das Gesicht zu verlieren. Hat man dann genügend Abstand, gelingt es besser, die Situation aus der Sicht des Anderen zu sehen und zu überlegen, wie man helfen könnte. Mit dieser Einstellung geht man wieder in die Situation zurück und unterstützt bestmöglich.
Die Königsdisziplin ist jedoch, dass man stur mit dem weitermacht, was vor der Nase liegt. «Man verhält sich wie ein Elefant, der von Dornen gestochen wird. Die Dornen sind zwar da, aber man bleibt cool und ist sich der Stärke seiner Haut bewusst.» (Buddha und die Liebe, S.99) Ähnlich drückte es auch Dr. Phil. Heinz Bolliger-Salzmann, Autor von «emotionale Klarheit» an einer kantonalen Tagung für Lehrkräfte aus. Damit Ressourcen, Wissen und Erkenntnisse angewendet werden können, braucht man «affektive Stabilität und mentale Flexibilität» – eine dicke Haut und die Bereitschaft, verschiedene Standpunkte zuzulassen. (Bolliger-Salzmann, 2014, S. 27).
Bleiben störende Gefühle lange hängen oder treten in unterschiedlichen Situationen immer wieder auf, kann es hilfreich sein, den Ursachen auf den Grund zu gehen. So kann man Glaubensmuster und Überzeugungen nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit erkennen, sondern auch durch die Betrachtung der gegenwärtigen Situation.
Zum Beispiel können Nähe und Qualität von Beziehungen mittels der Kreativtechnik «Sozialkosmos» visualisiert oder schwer zu definierende Gefühle durch ausdrucksvolle Körperhaltung, dem «Skulpting» verdeutlicht werden.
Eine weitere, sehr wirksame Methode ist die Überprüfung der eigenen Gedanken anhand der Arbeitsblätter von Byron Katie (siehe Anhang). Mit ihrer Methode «The Work» hat sie ein sehr wirkungsvolles Instrument für Selbsterkenntnis geschaffen, das aus vier Fragen besteht. Seine Anwendung kann die Eigen- und Aussenwahrnehmung völlig verändern und so grundsätzliche Negativmuster wie auch kleine Ärgernisse lösen. Die harte Schale des Egos bekommt Risse und statt dem Gefühl, Recht haben zu müssen kann sich ein Gefühl von Freiheit einstellen.
Selbstfürsorge ist Voraussetzung, um authentisch und aus einer nicht bedürftigen, erwachsenen Position heraus mit anderen Menschen in Beziehung zu sein. Nur wer in ausreichendem Mass für sich selbst da ist, kann für andere da sein, ohne sich zu verausgaben. Oder mit den Worten des Dalai Lama: «Damit jemand im Stande ist, wahrhaftig Mitgefühl gegenüber anderen zu entwickeln, benötigt er oder sie zunächst eine Grundlage, auf der Mitgefühl kultiviert werden kann. Die Grundlage für Mitgefühl für Andere ist die Fähigkeit, mit seinen Gefühlen verbunden zu sein und für sein eigenes Wohlergehen zu sorgen. (…) Fürsorge für andere setzt Fürsorge für sich selbst voraus.» (Dalai Lama, zitiert in Germer Christopher)
Selbstfürsorgliches Verhalten setzt also Selbst-Aufmerksamkeit und Selbst-Mitgefühl voraus.
Selbst-Aufmerksamkeit – im Sinne eines inneren Beobachters, der wahrnimmt, was in uns passiert. Ein Sensorium, das uns Informationen über unsere Befindlichkeit liefert.
Selbst-Mitgefühl, im Sinne einer wertschätzenden, einfühlenden und freundlichen Haltung uns selbst gegenüber, nimmt diese Informationen ernst und aktiviert so unseren fürsorglichen Teil für uns selbst. So erfahren wir in uns Zuwendung und Verbundenheit und vertiefen den Selbstkontakt. Das führt nicht nur zu einer klareren Wahrnehmung, sondern reduziert auch deutlich den Stress und perfektionistische Ansprüche an sich selbst. (Brechbühl; Pfeifer-Burri, 2012)
Selbstfürsorge braucht es auf allen Seins Ebenen des Menschen: auf der körperlichen, emotionalen, kognitiven, sozialen und spirituellen Ebene (Beispiele dazu siehe Kasten).
Die Strategien dazu können sehr verschieden Aussehen. Langfristig erfolgreiche Strategien werden von einer wohlwollenden inneren Haltung getragen und zeichnen sich durch eine gute Balance zwischen Tun und Sein, Aktivierung und Entspannung, Zeit mit Anderen und Zeit für sich aus.
Dazu eine kleine Geschichte von John Bucay (2008):
Es war einmal ein Holzfäller, der bei einer Holzgesellschaft um Arbeit vorsprach. Das Gehalt war in Ordnung, die Arbeitsbedingungen verlockend, also wollte der Holzfäller einen guten Eindruck hinterlassen.
Am ersten Tag meldete er sich beim Vorarbeiter, der ihm eine Axt gab und ihm einen bestimmten Bereich im Wald zuwies. Begeistert machte sich der Holzfäller an die Arbeit. An einem einzigen Tag fällte er achtzehn Bäume.
«Herzlichen Glückwunsch», sagte der Vorarbeiter. «Weiter so.» Angestachelt von den Worten des Vorarbeiters, beschloss der Holzfäller, am nächsten Tag das Ergebnis seiner Arbeit noch zu übertreffen. Also legte er sich in dieser Nacht früh ins Bett. Am nächsten Morgen stand er vor allen anderen auf und ging in den Wald.
Trotz aller Anstrengung gelang es ihm aber nicht, mehr als fünfzehn Bäume zu fällen.
«Ich muss müde sein», dachte er. Und beschloss, an diesem Tag gleich nach Sonnenuntergang schlafen zu gehen.
Im Morgengrauen erwachte er mit dem festen Entschluss, heute seine Marke von achtzehn Bäumen zu übertreffen. Er schaffte noch nicht einmal die Hälfte.
Am nächsten Tag waren es nur sieben Bäume, und am übernächsten fünf, seinen letzten Tag verbrachte er fast vollständig damit, einen zweiten Baum zu fällen. In Sorge darüber, was wohl der Vorarbeiter dazu sagen würde, trat der Holzfäller vor ihn hin, schwor bei Stein und Bein, dass er geschuftet hatte bis zum Umfallen.
Der Vorarbeiter fragte ihn: «Wann hast du denn deine Axt das letzte Mal geschärft?»
«Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit, ich war zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu fällen.»
Körperliche Selbstfürsorge
Auf Signale des Körpers achten, regelmässig essen, körperliche Aktivitäten ausüben, die Spass machen, sich entspannen (Ferien, Pausen, Schlafen), im Krankheitsfall daheimbleiben. Atemübungen und Yoga, WIM HOF.
Emotionale Selbstfürsorge
Gefühle wahrnehmen. Ausdruck von Ärger, Wut, Trauer, Liebe, Freude, Heiterkeit, Humor. Zeit verbringen mit anderen Menschen, persönlich wichtige Beziehungen pflegen. Möglichkeiten zum Lachen und zur Lebensfreude suchen. Sich Zeit nehmen, für sich sein. Geniessen. Feiern. Lieblingsfilme, -musik, -bücher.
Kognitive Selbstfürsorge
Sich Zeit nehmen zum Nachdenken und Reflektieren. Tagebuch schreiben. Auf eigene Gedanken, Meinungen, Glauben, Haltungen achtgeben. Sich selbst loben. Seinen Geist für neue Bereiche öffnen. Umgang mit negativen Glaubenssätzen lernen.
Soziale Selbstfürsorge
Mit anderen Menschen zusammen sein. Pflege von sozialen Kontakten durch Begegnungen, gemeinsame Erlebnisse. Konflikte ansprechen und klären, für sich einstehen. Anderen Menschen verschiedene Aspekte der eigenen Person zeigen.
Spirituelle Selbstfürsorge
Persönlichen Werten einen eigenen Platz im Leben einräumen. Dankbarkeit. Bescheidenheit. Akzeptanz und Hingabe. Optimismus, Hoffnung und Vertrauen pflegen. Offen sein für neue Inspiration. Beten. Meditieren. Sich mit der Natur verbinden.
IBP Institut, Magazin 3 (2012)
«Wenn wir als Kind nicht erlebt haben, dass unsere körperlichen und emotionalen Bedürfnisse durch fürsorgliche Personen erkannt und befriedigt werden, gewöhnen wir uns mit der Zeit daran, diese zu unterdrücken, zu ignorieren oder ganz einfach abzuschalten. Daraus können sich feste Verhaltensweisen und Überlebensstrategien entwickeln», so Brechbühl und Pfeifer-Burri vom Institut IBP für Coaching und Beratung. Diese Schutzmechanismen helfen uns in dieser frühen Zeit unseres Lebens, einen sinn- und wirkungsvollen Umgang mit nicht optimalen Umständen zu finden. Als Erwachsene wenden wir in Herausforderungen zum Teil immer noch die gleichen Schutzstile an, obwohl wir schon längst viel passendere Verhaltensalternativen zur Verfügung hätten. Die alten Schutzstile erschweren es, unsere Selbst-Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Sie vermindern so, dass wir unsere Bedürfnisse erkennen und fürsorglich darauf reagieren können. Dass wir in akuten Stressphasen unsere Aufmerksamkeit im Aussen haben, ist sinnvoll. Es erklärt aber auch, warum permanenter Stress ohne genügende Entspannungsphasen auf die Dauer ungesund ist: Mit dem ausschliesslichen Fokus auf das Aussen nehmen wir die Signale unseres Organismus nicht wahr und horchen erst auf, wenn wir dazu gezwungen werden, zum Beispiel durch Krankheit oder Unfall.
«Wir haben nie in einer idealen Umgebung gelebt und werden es auch nie. Weder als Kind noch als Erwachsene. Die gute Nachricht: Das erwachsene Selbst ist in der Lage, für sich Verantwortung zu übernehmen.» Auszeiten, Achtsamkeitsübungen, ein Spaziergang im Wald etc. können uns helfen zu spüren was wir brauchen. Hilfreich ist auch die Arbeit mit der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Seine eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und formulieren zu können ist nicht leicht. Rosenberg hat deshalb in langjähriger Erfahrung hilfreiche Methoden entwickelt, damit dies gelingt. (Rosenberg, 2007) Um seinen Bedürfnissen aktiv nachzukommen, hilft es, Spielräume auszuloten, Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten in Beruf, Freizeit und Familie ausfindig zu machen und mutig zu nutzen. Um Win-Win Lösungen zu verhandeln, ist das Vorgehen gemäss der interessenbasierten Verhandlung (Knapp; Novak, 2010) oder der gewaltfreien Kommunikation hilfreich.
«Vertrauen Sie darauf, dass Ihr erwachsenes Selbst Fähigkeiten besitzt, um mit schwierigen Situationen umzugehen.», schliessen Brechbühl und Pfeiffer-Burri ihr Plädoyer für Selbstfürsorge und knüpfen damit an die ressourcenorientierte Haltung der kreativ-rituellen Prozessgestaltung an. «Geben Sie sich selbst die EHRE, in dem Sie Ihr Leben entschleunigen, sich selbst im Hier & Jetzt wahrnehmen und für sich Reduktion und Einfachheit suchen.»
«Und noch eine gute Nachricht: Selbst-Aufmerksamkeit und Selbst-Mitgefühl, die beiden Grundpfeiler für Selbstfürsorge, sind erlernbar. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Erwachsenenleben.» (Brechbühl; Pfeifer-Burri, 2012)
Damit schliesst sich der Kreis. Den eben diesem Lernen widmet sich der Lehrgang systemische Erlebnispädagogik von planoalto. Indem die kreativ-rituelle Prozessgestaltung den Einzelnen unterstützt, «sich wahrzunehmen, Verhaltensweisen und Muster zu erkennen sowie Lösungen zu entwickeln und im Bewusstsein seiner Ressourcen im lebendigen Austausch mit der Umwelt den guten Platz einnehmen zu können» formt sie achtsame, bewusste Begleitpersonen und damit das wichtigste Werkzeug in der Begleitung von Menschen. Der Titel des preisgekrönten Buches der Achtsamkeits- Trainerin Maria Kluge bringt es auf den Punkt: The Toolbox is you!