Forstingenieurin FH, Headcoach ParkourONE, Erlebnispädagogin und Erwachsenenbildnerin
In meinen eigenen Praxisprojekten habe ich wahrgenommen, wie sich mein Bewusstseinszustand beim Leiten und Begleiten verändert in das, was ich als Verbunden_Sein beschreibe. Ich spüre, dass ich dabei in ein anderes Feld eintrete und für den Prozess wertvolle Impulse erhalte, von denen ich intuitiv fühle, dass diese jetzt genau richtig sind.
Fachartikel aus der Diplomarbeit im Lehrgang Systemische Erlebnispädagogik:
«Wir sind alle Teile dieses selben Einen, derselben Potenzialität, auf der wir gemeinsam gründen.»
Hans-Peter Dürr
«Verbunden_Sein ist ein Bewusstseinszustand, in dem ich mich verbunden fühle mit mir, mit Himmel und Erde und seinen Bewohner*innen. Ich bin gleichzeitig präsent bei mir, im Innen und in Beziehung mit dem Aussen. Intuitiv eröffnet sich mir ein Zugang zur Welt und mir. Die Verbundenheit zeigt sich auch als innere Freude. Ich bin mit mir und der Welt im Reinen und stehe in meiner Kraft. Ich spüre, dass ich auf meinem Weg bin.»
Das ist meine Definition fürs Verbunden_Sein, in einem verbundenen Zustand geschrieben. Verbunden_Sein ist ein weites Feld, das subjektiv erlebt wird und über eine Qualität verfügt, die seine Beschreibung in Worten nicht leicht macht. Dennoch habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Verbunden_Sein genauer zu erforschen. Im Gegensatz zu meiner Definition begreifen Wikipedia und Duden Verbundenheit einzig als Zu- oder Zusammengehörigkeit zu anderen Menschen: Gemäss Wikipedia (2021) wird als Verbundenheit das Gefühl bezeichnet, einer anderen Person oder Personengruppe zugehörig zu sein und in einer gegenseitig vertrauensvollen Beziehung zu stehen. Auch Duden (2021) sieht Verbundenheit als ein (Gefühl der) Zusammengehörigkeit mit jemandem oder miteinander. Meine Definition begreift Verbunden_Sein weiter und schliesst die Verbundenheit mit allem Lebendigen, also im Prinzip mit allem (siehe Kap. 3) mit ein. Weil es eine eigene Begriffsdefinition ist und ums verbundene Sein geht, schreibe ich Verbunden_Sein mit Unterstrich. Die Zugehörigkeit ist beim Verbunden_Sein ebenfalls wichtig. Dabei geht es aber auch ums Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein, eben zugehörig in einem weiteren Sinn: «Unseren Platz finden meint das Herstellen von lebendigen Beziehungen in allen Dimensionen», Hartmut Rosa (2018, 599).
Auch wenn Verbunden_Sein nicht 100% klar definier- und eingrenzbar ist, möchte ich mit meiner Definition fortfahren und nachfolgend einige Charakteristika von Verbunden_Sein nennen, die auf meiner eigene Erfahrung beruhen. Diese unterstützen uns ebenfalls in der späteren begrifflichen Abgrenzung.
Die Charakteristika sind im Verbunden_Sein nicht immer alle gleichzeitig präsent, aber wahrscheinlich die Mehrheit. Auch ist beispielsweise bei einer Erfahrung der Fokus mehr im Innen, beim Körper, und bei einer anderen mehr im Aussen, im Prozess. Der Bewusstseinszustand ist aber derselbe und bei Bedarf kann der Fokus verändert werden.
Verbunden_Sein erlebe ich, wenn ich meinen Seelenweg lebe, wenn ich merke, dass ich genau jetzt am richtigen Ort zur richtigen Zeit das Richtige mache. Es ist ein Zustand, den ich manchmal spontan in der Natur erlebe. Während einem Solo oder einer Visionssuche in der Natur bin ich oft in diesem Zustand drin. Er klingt häufig eine Weile nach und verblasst dann im Alltag etwas. Ich erlebe ihn oft wenn ich Heilung erfahre, während und nach einer Sauna, einer Schwitzhütte, einem Bad oder einer guten Massage. Wenn ich tanze und einfach alles stimmt, ich voll aufgehen kann in der Musik, fühle ich mich verbunden mit mir, den Menschen, der Musik, dem Bass und dem Kosmos. Den Zustand kenne ich auch aus meiner schamanistischen Praxis, wenn ich z.B. aus dem «Nichts» ein Lied empfange und singe oder im Kontakt mit Naturwesen bin. Wenn ich verbunden bin mit meiner Intuition, habe ich manchmal ein Aha-Erlebnis und erkenne neue Zusammenhänge. Auch bei Atemübungen und Meditation erlebe ich Verbunden_Sein teilweise. In einem Gespräch kann sich eine tiefe Verbundenheit einstellen, wenn ich alles rundherum vergesse und nur noch präsent, emphatisch oder schöpferisch (siehe nächster Abschnitt) am Hören und Sprechen bin. Dies sind dann oft sehr inspirierende, tiefgehende Gespräche. Ich kenne dieses Verbunden_Sein auch beim Coachen und in der Prozessbegleitung, wenn ich spüre, was es als nächstes braucht. Wenn ich Raum halte für das, was entstehen will. Das hat mein eigentliches Forschungsinteresse im Zusammenhang mit der Ausbildung geweckt.
In der Literatur finden sich unterschiedliche, sehr mit Verbunden_Sein verwandte Zustände. Die Auseinandersetzung mit diesen Bewusstseinszuständen unterstützt den Schärfungsprozess des Begriffs und sorgt hoffentlich für mehr Klarheit. Die dafür untersuchte Literatur begleitet uns auch in den restlichen Kapiteln aufgrund der Zustandsverwandtschaft. Die Auswahl ist beschränkt auf die für mich interessantesten und ähnlichsten Begriffe. Ich untersuche sie im Folgenden einzeln.
Gewahrsein
Kreszmeier und Hufenus (2000, 57-58) verstehen im kreativ-rituellen Kontext unter Wahrnehmung eine Art unfokussierte, absichtslose Kontaktaufnahme mit dem Aussen, eine ganzsinnliche Hinwendung zur Welt. Sie ist ein Tor zu einer anderen Aufmerksamkeit, die heute häufig als «Raum des Gewahrseins» bezeichnet wird (ebd.). Im Buddhismus kann reines Gewahrsein als Naturzustand des Geistes verstanden werden (Ricard 2017, 57-59). Charakteristika: innerer Frieden, Klarheit, Achtsamkeit, Bewusstheit, Präsenz, Leuchten Lebendigkeit, frei von umherschweifenden Gedanken, mit einem Geist, der so weit ist wie das Firmament (ebd.). Der Zustand erlaubt, sowohl die äussere als auch innere Welt wahrzunehmen (Ricard 2017, 280). «Wir nennen das nichtduales Bewusstsein, weil Subjekt und Objekt nicht getrennt sind» Ricard (2017, 301).
Ich glaube, dass nicht jeder Verbundenheitszustand gleich reines Gewahrsein im Sinne des buddhistischen Verständnisses ist. Aber viele Charakteristika stimmen damit überein. Den vielleicht etwas offeneren Raum des Gewahrseins, von dem Kreszmeier und Hufenus schreiben, braucht es aber. Gewahrsein erscheint mir wie ein Grundzustand, aus dem Verbunden_Sein entstehen kann. Nach Tenzer (2021) heisst Gewahrsein, offen zu sein für das was jetzt geschehen will, zum Besten des Ganzen – und danach auch in diesem Sinne zu handeln. Das erinnert mich sehr an die Prozessbegleitung und das schöpferische Hören.
Schöpferisches Hören
Das schöpferische Hören ist nach C. Otto Scharmer (2019, 42-43), dem Begründer der Theorie U, ein Zuhören vom entstehenden Feld her. So zuzuhören bildet und hält einen schützenden Raum, in dem die höchste Zukunftsmöglichkeit gegenwärtig werden kann (ebd.). Indem die Qualität des Zuhörens verändert wird, verändert sich die Beziehung zur Erfahrung – und das verändert alles (ebd.). «Wenn dieses tiefe generative Feld aktiviert ist, erleben wir das meistens so, als ob sich die Zeit verlangsamt, der Raum sich öffnet, ein Gefühl der Öffnung der Selbstdezentrierung stärker wird, während sich die Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen öffnet, um einer gemeinsamen Gegenwärtigung Raum zu geben.» (Scharmer 2019, 62). Handlungen, die auf einem solchen Feld basieren, werden oft als Flow (Scharmer 2019, 53) und das Bewusstsein als panoramaartig beschrieben (Scharmer 2019, 73-74).
Im schöpferischen Hören erleben wir viele Aspekte des Verbunden_Seins. Ich sehe Verbunden_Sein als eine Voraussetzung fürs schöpferische Hören. Die Grenze öffnet sich und Verbindung entsteht. Interessant ist auch der Hinweis auf den Flow-Zustand und die veränderte Zeitwahrnehmung. Meine Idee ist deshalb, dass das schöpferische Hören eine spezifische Art des Verbunden_Seins ist, das sich vor allem aufs Feld bezieht. Natürlich ist man selbst darin enthalten, wie auch die Natur und die Mitmenschen.
Flow
Dieser Bewusstseinszustand stellt sich dann ein, wenn eine Tätigkeit wie von selbst abläuft und der Handelnde mit ihr voll und ganz verschmilzt (Vaitl 2012, 329-330). Es müssen Tätigkeiten sein, die ein hohe Mass an Können verlangen, eine ungewöhnliche Herausforderung darstellen und bei denen es zu einer Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten kommt (ebd.). Ein weiteres charakteristisches Merkmal für den Flow-Zustand ist das Versunkensein in das aktuelle Geschehen und die Verschmelzung mit dem eigenen Tun (Vaitl 2012, 337).
Verbunden_Sein und Flow vereinen also das im Moment sein und die veränderte Zeitwahrnehmung, allerdings ist die Wahrnehmung völlig auf die Tätigkeit ausgerichtet und je nach Tätigkeit zu wenig offen. Auch andere Charakteristika fehlen. Wenn wir Verbunden_Sein erleben, sagen wir aber oft, wir waren «im Fluss» oder es hat «geflowt». In der Prozessbegleitung habe ich dies bereits als Leiterin wie auch als Teilnehmerin erlebt. Es kommt also auf die Tätigkeit an, ob Flow auch Verbunden_Sein im Sinn meiner Definition bedeutet oder einfach eine Verbundenheit mit der ausgeführten Tätigkeit. Spannend ist, dass Flow nicht willentlich hervorgerufen werden kann, sondern sich spontan einstellt (Vaitl 2012, 329-330). Dasselbe werden wir auch fürs Verbunden_Sein und andere verwandte Zustände herausfinden.
Einheitserfahrung
Vom mystischem Zustand des Verschmelzens wird berichtet, dass der Körper nicht mehr wahrgenommen, das Bewusstsein über die Einheit nicht mehr präsent ist, sondern nur noch Einheit selbst. In den hinduistischen Texten der Mandukya-Upanishad (Vers 7) heisst dieser Zustand Turiya und wird als absoluter Frieden, Seligkeit ohne Dualität, eigentlich unbeschreibbar und unwahrnehmbar beschrieben. Es ist weder ein Bewusstsein der Innen- noch der Aussenwelt, auch nicht ein vereintes Bewusstsein dieser beiden Welten (ebd.).
Der Zustand des Verbunden_Seins unterscheidet sich davon deutlich. Das Körperbewusstsein, auch das Bewusstsein für das eigene Selbst sind noch präsent. Es geschieht im Verbunden_Sein kein vollständiges Verschmelzen, aber die gewohnten Grenzen lösen sich etwas auf und ein Eintauchen in die Verbindung mit andern Wesen ist möglich. Die nondualen Tantriker (Lerch 2014) sagen, dass es möglich ist, sich über den Einheitszustand (turiya) bewusst zu sein und das höchste Licht des Göttlichen zu erfahren während sie in weltlichen Aktivitäten involviert sind (turiyatita). Dieser Zustand würde dem Verbunden_Sein, wie ich es erlebe, wieder näher kommen, aber wohl auf einer höheren Ebene.
Resonanz
Resonanz kommt von «re-sonare», vom Lateinischen «wiederhallen, ertönen» (Rosa 2018, 282) und ist nach Hartmut Rosa (2018, 298) eine Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren. Resonanz ist ein Begriff der Verbindung zwischen Geist und Körper und schliesslich Geist und Natur (Rosa 2018, 293). Es ist ein «dynamisches Interaktionsgeschehen zwischen Subjekt und Welt, ein Verhältnis der Verflüssigung und Berührung, dessen Natur prozesshaft ist (Rosa 2018, 55). Rosa sieht Resonanz als menschliches Grundbedürfnis (2018, 293) und als Metakriterium des gelingenden Lebens (2018, 749).
Resonanz und Verbunden_Sein sind meiner Meinung nach sehr verwandt. Eines der Charakteristika von Verbunden_Sein ist ja «in Beziehung sein». Das heisst, verbundene Zustände sind auch resonant. In einem verbundenen Zustand mit mir und oder dem Universum gehe ich auch in Resonanz. Umgekehrt fühle ich mich z.B. in einer resonanten Beziehung mit einer Pflanze gleichzeitig auch verbunden. Aber ist tatsächlich jeder resonante Zustand ein Verbunden_Sein? Rosa (2018, 743) weist darauf hin, dass Resonanz nicht mit Konsonanz verwechselt werden darf, da sie nicht auf Einklang und Harmonie beruht, sondern die Begegnung mit einem anderen als Anderem erfordert und damit auch Dissonanzen im Sinne von Widerspruch. Verbunden_Sein duldet von mir aus gesehen Widerspruch, wenn dieser in einem Resonanzverhältnis erfolgt. Ich glaube, jeder resonante Zustand ist ansatzweise auch ein Verbunden_Sein, aber es gibt unterschiedliche Tiefen dieses Verbunden_Seins. Wenn ich in Resonanz gehe mit Musik, wird etwas in mir zum Klingen gebracht und verbindet sich mit dieser Musik. Das heisst aber noch nicht unbedingt, dass ich mich so in einem umfassenden Verbundenheits-Zustand mit all seinen Charakteristika befinde, aber das Potenzial ist da, je nachdem wie stark etwas in mir zum Klingen gebracht wird. Daraus schliesse ich, dass Resonanz ein wichtiger Teil des Verbunden_Seins ist, wobei auch resonante Zustände ohne umfassendes Verbunden_Sein möglich sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass von allen untersuchten Zuständen Resonanz mit dem Verbunden_Sein die grösste Übereinstimmung hat, weshalb ich die Voraussetzungen für Resonanz auch fürs Verbunden_Sein im nachfolgenden Kapitel nutzen kann. Das Gewahrsein ist von seinen Charakteristika ebenfalls sehr ähnlich, müsste aber noch eingehender untersucht werden.
Ich glaube, es kann trainiert werden, im Zustand des Verbunden_Seins zu sein und eine Weile darin zu bleiben. Ich glaube aber auch, dass es immer ein Geschenk ist, wenn sich Verbunden_Sein einstellt. Auch Resonanz impliziert (Un- bzw.)Halbverfügbarkeit (Rosa 2019, 52). Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung entstehen nach Rosa (2019, 8) aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren. Verbunden_Sein ist ein sehr schöner Zustand. Im Prozess dieser Arbeit habe ich aber gemerkt, dass ich froh bin, bei Bedarf in einem stummen, nicht antwortenden Verhältnis zur Welt zu stehen oder mal Pause zu haben. Auch Rosa (2018, 742) nennt Dauerresonanz nicht als Ziel, sondern sieht Resonanzverweigerung als Grundrecht. Wie machen das wohl andere Lebewesen? Verbunden_Sein sehe ich auf jeden Fall wie Resonanz als Grundbedürfnis. Im internationalen u.lab1x online-Kurs von MITx war denn auch «Connection» die meistgenannte Intention der Teilnehmenden. Auf gewissen Ebenen können wir glücklicherweise gar nicht nicht verbunden sein. Das «Ich» ist nach Seghezzi und Seghezzi (2019, 110) in Wahrheit ein «Wir», ein «kommunizierender Haufen». Ich bin zusammengesetzt aus Wasser, Feuer, Erde und Luft, wie alles andere, das um mich herum geboren wird, lebt und stirbt (ebd.). Im Atmen und in der Verarbeitung von Nahrung prozessieren wir ständig «Welt» durch uns durch (Rosa 2018, 92). Dies kann natürlich in unterschiedlich bewussten und verbundenen Zuständen geschehen. Hier stellt sich die Frage, ab wann beispielsweise ein Sauerstoffmolekül nicht mehr «Ich» ist sondern Aussenwelt, also wo die Trennung geschieht bzw. ob es sie überhaupt gibt. Die Welt besteht gemäss Deikman (1990, 122) aus Gradienten, nicht aus Grenzen. Es ist die Veränderungsgeschwindigkeit, welche die Erscheinungsform bestimmt (ebd.). Tiefer in dieses Thema steige ich im Kap. 3 ein.
Fürs Verbunden_Sein braucht es meiner Meinung nach sicher Offenheit. Das beinhaltet auch die Bereitschaft zur echten Beziehung und die Offenheit für Wandel (Seghezzi und Seghezzi 2019, 44-46). Weiter braucht es eine Portion Mut und die Bereitschaft, loszulassen, sich in einen vielleicht als unsicher empfundenen Zustand der Leere zu begeben. Menschen im Resonanzmodus sind grundsätzlich verletzbar (Rosa 2018, 643). Scharmer (2019, 44-48) spricht für den Prozess des schöpferischen Hörens von einer Öffnung des Willens, des Herzens und des Denkens. Dafür müssen drei Tore oder Schwellen überschritten werden: Die Stimme des Urteilens, des Zynismus und der Angst (ebd.). All dies gilt auch für die notwendige Offenheit des Verbunden_Sein. Um Verbunden_Sein überhaupt wahrnehmen zu können, braucht es einen gewissen Grad an Körperbewusstsein bzw. -beziehung, wofür die Heilung von Traumata und emotionalen Verletzungen hilfreich sind. Das unterstützt auch darin, sich zu wagen, sich in einen verletzbaren Zustand zu begeben. Unterstützend fürs Verbunden_Sein ist weiter das sich Befassen mit den eigenen Mustern (und damit mit der eigenen Biografie), damit diese weniger dazwischen funken können. Das Training der Fähigkeit, im Moment sein zu können, achtsam zu sein und in sich zu ruhen ist ebenfalls sehr hilfreich. Für Ursula und David Seghezzi (2019, 157) ist «es nicht das Tun, sondern gerade das Nicht-Tun, das absichtslose Sein, das Mitschwingen und Mitfliessen im Fluss des Lebens, das die uralte Verbindung wieder aufleben lässt». Die eigene Haltung ist ebenfalls sehr wichtig. Hilfreich sind sicher Demut, Liebe und Dankbarkeit. Die systemische Haltung kann fürs Verbunden_Sein ebenfalls nützlich sein. Zur Liebe gehört auch die Selbstfürsorge, also sich selber Gutes zu tun. Das hilft mir immer wieder, wenn ich merke, dass ich nicht verbunden bin. Dazu können empfangende Sinne trainiert und so die Wahrnehmung gestärkt werden (siehe Kap. 4). Ursula und David Seghezzi (2019, 44-46) nennen als Tor zur Verbundenheit mit der Natur und ihren Wesen, ebenso wie mit uns, das bewusste Wahrnehmen und Eintauchen in einen «Heiligen Raum», in der alle Beziehungen eingebettet sind (Kap. 3). Es kommt also auch aufs eigene Weltbild an, wie Verbunden_Sein entstehen kann und wahrgenommen wird. Geltend fürs Verbunden_Sein sind auch die Voraussetzungen für Resonanz: Beide Seiten müssen mit eigener Stimme sprechen und gleichzeitig offen genug sein, um sich erreichen zu lassen (Rosa 2018, 298). Es hängt vom Zustand des Subjekts, der begegnenden Welt und ihrem Passungsverhältnis ab, ob Beziehungen resonanter oder stummer Art sind (Rosa 2018, 636-9). In heiterer und freundlicher, gelöster oder bisweilen auch in ernster oder in ehrfürchtiger oder solidarischer Stimmung sind Resonanzerfahrungen prädisponiert (ebd.).
Hemmende Faktoren gibt es ebenfalls einige. Bekannt ist das Sich-Verlieren in den eigenen Gedanken, meist in der Vergangenheit oder Zukunft. Also das Gegenteil der Präsenz oder Achtsamkeit. Weitere hemmende Faktoren haben wir bereits im oberen Abschnitt gelesen (Angst, Zynismus, Urteile, Festhalten statt Loslassen). Darüber hinaus sind die eigenen Glaubenssätze und das Weltbild entscheidend, ob eine solche Erfahrung überhaupt zugelassen und wie sie bewertet wird. Die Erkenntnisse von Rosa zur Resonanz sind auch für die hemmenden Faktoren des Verbunden_Seins gültig: Erwartungen scheinen ein zuverlässiger Hemmfaktor für die Erfüllung zu sein (Rosa 2018, 635). Je mehr wir versuchen, Resonanzerfahrung zu maximieren oder optimieren und instrumentelle Verfügbarkeit und Kontrolle über sie zu gewinnen, desto mehr wird sie zerstört (Rosa 2018, 295). Die Prädisposition zur Einnahme eines stummen Beziehungsmodus steigt mit dem empfundenen Grad der Angst und der stressbedingten Anspannung (Rosa 2018, 643). Spannend für die Erlebnispädagogik ist der Hinweis, dass Resonanzblockaden insbesondere dort entstehen, wo Selbstwirksamkeitserwartungen untergraben werden, weshalb die Resonanztheorie darauf abzielt, den Machtlosen Selbstwirksamkeit zurückzugeben (Rosa 2018, 757).
Auf das Thema Verbunden_Sein gibt es viele mögliche Blickpunkte. Einige haben wir bereits im Kap. 1 als verwandte Zustände kennengelernt. Auch auf meine persönliche Erfahrung bin ich bereits in der Einleitung eingegangen. Nun möchte mit der Quantenphysik, der Naturverbindung und der Bewusstseinsforschung noch ein paar weitere wertvolle Perspektiven aufs Verbunden_Sein werfen. Lohnenswerte weitere Forschungsfelder, die den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätten sind: Ethnologie, Neurologie, Sheldrake’s morphische Felder, Gaiahypothese, Traumaforschung, spirituelle, schamanistische und tantrische Praktiken, Symbiosen in der Natur, uvm. Ich habe die drei erwähnten Perspektiven gewählt, weil die Quantentheorie eine wertvolle Grundlage fürs Verständnis des Verbunden_Seins bietet und ich in der Bewusstseinsforschung und Naturverbindung für die KPRG wertvolle Hinweise vermutet habe.
Die Erkenntnisse der Quantentheorie stellen bis heute unser gewohntes Weltbild auf den Kopf. In allen empirischen Experimenten hat sich die Quantenphysik aber seit ihrer Entdeckung als äusserst robust gezeigt und bildet die Grundlage vieler technischen Anwendungen der heutigen Zeit (Seghezzi und Seghezzi 2020, 174). Viele Fragen über die Natur der Wirklichkeit bleiben dennoch ungeklärt. Gemeinsam ist der Relativitäts- und der Quantentheorie trotz einigen Widersprüchen die Annahme einer ungeteilte Ganzheit (Bohm 1987, 229-230). Es gibt unterschiedliche Interpretationen der Quantentheorie, wofür ich in diesem Abschnitt mit David Bohm und Hans-Peter Dürr zwei Vertreter eher mystisch-spiritueller Interpretationen zitiere (auch wenn Bohm vielleicht mit dieser Zuschreibung nicht glücklich wäre). Ihre Aussagen sind, so wie ich zu beurteilen versuche, nicht Mainstream-Quantenphysik, widersprechen dieser aber auch nicht. Weitere Literatur hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt, aber es könnte sich sehr lohnen, Fritjof Capra zu lesen, der sich als Physiker mit der östlichen Mystik befasst hat (Bücher: «Das Tao der Physik» und «Lebensnetz») und Ervin Laszlo mit «The Connectivity Hypothesis“ und „Science and the Akashic Field».
Wirklichkeit offenbart sich gemäss Dürr (2010, 15) in der Quantentheorie primär als Potenzialität, als untrennbare Einheit, die sich nicht zerlegen lässt und auch nicht räumlich lokalisiert werden kann (2010, 66). Potenzialität heisst, dass die Zukunft im Wesentlichen offen ist und die Welt in jedem Augenblick neu geschaffen wird, dies im «Erwartungsfeld» der abtretenden Welt (Dürr 2010, 33). Die Wirklichkeit kann nach Dürr (2010, 123) als ein nicht-auftrennbares Beziehungsgefüge und ein eigenständiges, sich wandelndes, komplexes, informiertes, lernfähiges Erwartungsfeld in einem ganz andersartigen hoch-dimensionalen, ja unendlich dimensionalen Raum verstanden werden. Bohm (1987, 32-33) bezeichnet die Welt als eine ungeteilte Ganzheit in fliessender Bewegung. Nicht nur ist alles im Wandel, sondern alles ist Fluss – das was ist, ist demnach der Prozess des Werdens selbst, woraus Gegenstände, Ereignisse, Wesen usw. abstrahiert werden können (Bohm 1987, 77). Mit «Alles impliziert alles« fügt Bohm (1987, 206) einen neuen Aspekt zur Ganzheit dazu. In seiner Theorie der impliziten Ordnung ist die Totalität des Daseins in jedem Abschnitt des Raums (und der Zeit) eingefaltet; jedes Einzelne faltet stets das Ganze ein und ist daher innig mit der Totalität verbunden (Bohm 1987, 225). Getragen wird diese implizite Ordnung nach Bohm (1987, 150) von einer ganzheitlichen Bewegung, die er Holomovement nennt; eine bruchlose und ungeteilte Totalität, die eigentlich undefinierbar und unermesslich ist. Aus der Differenzierung des Untrennbaren entstehen scheinbar unabhängige Subsysteme (Dürr 2010, 36). Das Universum der Materie kann als winziges Erregungsmuster angesehen werden, das wiederholend, stabil und getrennt scheint und sich relativ autonom verhält (Bohm 1987, 242-9). Allerdings liegt dieses Muster wie Kräuselungen der Wellen auf einem gewaltigen Energieuntergrund, den wir mit einem ungeheuer weiten Meer vergleichen können (ebd.). Beim Versuch, alles zu zerlegen, bleibt kein Stoff mehr übrig, sondern nur Beziehung (Dürr 2010, 33). «Wir sind alle Teile dieses selben Einen, derselben Potenzialität, auf der wir gemeinsam gründen» Dürr (2010, 37). Natur und Mensch sind also, wie alles, in dieser Sichtweise nicht getrennt (Dürr 2010, 88). Auch nach Bohm (1987, 270-4) ist es falsch anzunehmen, dass beispielsweise jeder Mensch ein unabhängiges Wesen ist, der mit anderen Menschen und mit der Natur in Wechselwirkung steht. Vielmehr sind wir allesamt Projektionen einer einzigen Totalität, einer gemeinsamen höherdimensionalen Grundlage (ebd.). Obwohl wir keine genaue Wahrnehmung oder Kenntnis dieser Grundlage besitzen, ist sie dennoch im gewissen Sinne in unserem Bewusstsein eingefaltet (ebd.).
Warum unterscheidet sich unsere heutige Welterfahrung so von diesen Erkenntnissen? Unser Weltbild beeinflusst unsere Wahrnehmung. Ursula und David Seghezzi (2020) erklären in ihrem Buch «Naturmystik» die Entstehung unseres heutigen Weltbildes sehr ausführlich. Nach Bohm (1987, 27) lässt sich der Mensch von trügerischem, zerteilendem Denken und der daraus geformten Wahrnehmung leiten. Fragmentierung ist die Antwort des Ganzen auf das Handeln des Menschen in dieser Wahrnehmung; sobald der Mensch ganzheitlicher an die Realität herantritt, wird auch die Antwort ganzheitlicher sein (ebd.)! Andererseits gibt es nach Dürr (2010, 38) auch ein Spaltungseffekt durch das Entstehen des Bewusstseins: Ich löse mich aus der unauftrennbaren Wirklichkeit heraus und erfahre mich und die Welt als zwei verschiedene Dinge; die Aussenansicht kommt zur Innensicht hinzu und Dualität wird so vorgetäuscht (ebd.). Dürr (2010, 23) erachtet es deshalb als grob unzulässig und falsch, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit gleichzusetzen. Dies geschieht auch, wenn wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse als allumfassend betrachten (ebd.).
Die Quantenphysiker wurden und werden heftig kritisiert, weil sie das Dogma des Materiellen und mechanistischen Weltbilds angreifen. Gleichzeitig bestätigen ihre Thesen aber, was viele Urvölker in einem oft animistischen Weltbild schon lange wissen: Dass in allem Leben ist und wir alle miteinander verbunden sind. Dass wir eins sind uns sogar Schöpfungskraft haben, ist in vielen mystischen Traditionen ebenfalls selbstverständlich. Die Resultate dieser Interpretationen der Quantentheorie bilden die Grundlage für mein Verständnis von Verbunden_Sein und gleichzeitig auch für die Wirkkraft der systemischen Erlebnispädagogik. Es ist eine Grundannahme der kreativ-rituellen Prozessgestaltung (KRPG), dass das Leben in ein grösseres Ganzes organisiert ist (Kreszmeier und Hufenus 2000, 34). Verbunden_Sein ist damit nicht nur ein Bewusstseinszustand, sondern auch eine Haltung.
Verbunden_Sein als Bewusstseinszustand inspirierte mich dazu, das Bewusstsein und insbesondere verschiedene Bewusstseinsmodi genauer zu untersuchen. Es gibt aber nach wie vor keine globale, von allen Wissenschaftlern akzeptierte Definition des Bewusstseins (Guntern 1990, 177). Borioni et al. (2003, 17) sehen eine objektive Studie des Bewusstseins als unmöglich an, da es von Aussen anscheinend gar nicht zu fassen ist. Das Bewusstsein bedient sich der Wahrnehmung, durch ihn und in ihm wird Wahrnehmung aber erst erlebt (Borioni et al. 2003, 24). Für uns interessant ist ein Vortrag des Psychiatrieprofessors Deikman (1990) über zwei unterschiedliche Bewusstseinsmodi. Nach Deikman (1990, 136) ist das Bewusstsein in Systemen oder Modalitäten organisiert, die der zu lösenden Aufgabe entsprechen – jeder Modus nimmt Realität in einer Art und Weise wahr, die dieser Funktion entspricht.
Den grössten Teil unseres wachen Lebens verbringen wir in einer instrumentellen Objektbeziehung zur Umwelt (Deikman 1990, 120-124). Deshalb hat unser Bewusstsein die Tendenz, sich mit den Berechnungen, Phantasien und Erinnerungen zu beschäftigen, die von diesen Aktivitäten verlangt werden (ebd.). Zu diesem instrumentellen Objektmodus gehören fokussierte Aufmerksamkeit, logisches Denken, scharf definierte Grenzen und ein Selbst, das objektartig, lokalisiert und von anderen getrennt ist (ebd.). Das Objektbewusstsein und die damit geschaffene abstrakte Welt entwickeln sich nach und nach (ebd.). Die Entwicklung des Denkens kreiert einen mentalen Filter, der sich zwischen uns und die Aussenwelt schiebt, mit ihr um unsere Aufmerksamkeit kämpft und sogar zur Realität wird (ebd.). Schliessich wird unser Bewusstsein von Symbolen, Erinnerungen und Phantasien dominiert, die ihre eigene, abstrakte Welt bilden, in der wir einen grossen Teil unseres Lebens verbringen (ebd.). Sich dessen bewusst zu sein, erachte ich als sehr wichtig. Deshalb ist es gemäss Dürr auch falsch, unsere Wahrnehmung der Realität mit der Realität gleichzusetzen.
Die Aufgabe des rezeptiven Bewusstseinsmodus besteht darin, Dinge aus der Umwelt aufzunehmen (Deikman 1990, 136-8). In diesem empfangenden Modus geniessen wir Kunst, Musik und Liebe, erfahren die Welt sinnlich und empfangen non-verbale Information und Inspiration (ebd.). Dabei dominiert die rechte Gehirnhälfte (ebd.). Wir erfahren die Welt in einer erweiterten Realität, also in ihren tieferen Dimensionen und nicht nur in denjenigen, welche die Objektwelt ausmachen (Deikman (1990, 141). Da das Selbst aber gewöhnlich als ein Objekt begriffen wird – andersartig, getrennt – kann alles, was ein Aufweichen oder eine Verwischung seiner Grenzen verursacht, als Bedrohung erlebt werden, gegen die Widerstand geleistet werden muss (Deikman 1990, 158-9). In den Menschen besteht eine Furcht vor der rezeptiven Wahrnehmung, auch weil damit ein Nachlassen der Kontrolle und eine Öffnung verbunden ist (ebd.). Dabei können Emotionen, Wünsche oder Phantasien auftauchen und generell ein Gefühl der Verletzlichkeit (ebd.). Das ist sehr spannend zu hören und erinnert uns an die Herausforderungen des schöpferischen Hörens, der Resonanz und des Verbunden_Seins. Auch Loslassen ist typisch für den rezeptiven Modus (Deikman 1990, 125).
Nach Deikman (1990, 133) erfüllt das instrumentelle Bewusstsein eine notwendige Funktion fürs Überleben, aber es darf im Umgang mit dem Leben nicht mehr Bedeutung und Wirklichkeit haben als unsere direkte Erfahrung. Stattdessen sollte es im Gleichgewicht gehalten und gelenkt werden von dem, was wir in einem rezeptiven Zustand wahrnehmen (ebd.). Gewalt und Entfremdung sind die Folgen, wenn es dem instrumentellen Modus gelingt, die erweiterte Welt auszuschliessen und den rezeptiven Modus zu unterdrücken (Deikman 1990, 141). Umgekehrt verlangt die erweiterte Wahrnehmung die Fähigkeit, die Dominanz des instrumentellen Modus einzuschränken, so dass eine andere Art der Erkenntnis aktiv werden kann (Deikman 1990, 120). Die intuitive Wahrnehmung kommt am wirksamsten im rezeptiven Modus zur Geltung (Deikman 1990, 125).
Kreszmeier und Hufenus (2000, 102) schreiben ebenfalls, dass das Wahrnehmen von grösseren Zusammenhängen ganzheitliche Sensorien verlangt, die in einer rezeptiven Haltung Impulse aufnehmen können. Verbunden_Sein benötigt den rezeptiven Bewusstseinsmodus, die Charakteristika passen extrem gut zueinander. Um etwas sprachlich auszudrücken, ist aber der instrumentelle Modus aktiv. Die Kunst beim Verbunden_Sein und der Leitung in der KRPG ist es demnach, nicht in die Dominanz des instrumentellen Modus zu fallen, obwohl dieser genutzt wird, sondern den instrumentellen Modus durch das, was im empfangenden Modus wahrgenommen wird, zu lenken. Ist es denn neurologisch möglich, schnell hin- und herzuwechseln? Das kann ich im Moment nicht beantworten, verstehe nun aber auf jeden Fall besser, warum ein «Zerreden» in der Reflexion von Prozessen gefährlich ist. Und warum Kreativtechniken als sinnliche Ausdrucksformen so wertvoll sind.
Naturverbindung
Naturerfahrung
Die Naturerfahrung ist der Boden der KRPG. Sie lässt sich gezielt einsetzen und wirkt gleichzeitig immer mit. Mit den vier Ebenen der Naturerfahrung (konkret, metaphorisch, energetisch, spirituell) erleben wir direkt, wenn wir uns darauf einlassen, ein Verbunden_Sein mit der Natur. Dabei erleben wir die verschiedenen Naturräume, lassen Symbole und Metaphern auf uns wirken, sind dem Wetter ausgesetzt und erhaschen manchmal wie Lichtblicke die Wahrnehmung von etwas Grösserem oder spüren uns als Teil von einem grösseren Ganzen. In der Natur fällt der Fokus aufs Wesentliche leicht und die Wahrnehmung schärft sich. Es gibt natürlich auch andere Arten, in der Natur unterwegs zu sein, beispielsweise kämpferisch, in einer Mensch-vs.-Natur-Haltung. Auch wissenschaftlich-technische Weltbeziehungen sind stumme Weltbeziehungen (Rosa 2018, 290) (mehr dazu im Abschnitt weiter unten). Wenn wir aber mit einer offenen Wahrnehmung und Haltung in der Natur unterwegs sind, können wir Verbunden_Sein mit der Natur und damit auch mit uns wie ein Geschenk immer wieder erleben. Für mich persönlich ist die Naturerfahrung der direkteste Weg, um wieder zu mir und in Verbindung zu kommen. Schon ein kleiner Spaziergang kann Wunder bewirken und ein längerer Aufenthalt nährt meist etwas sehr tiefes in mir, meine Seele. Ich komme mit leuchtenden Augen zurück, erfüllt und lebendig. Natürlich ist dies nicht jedes Mal garantiert der Fall, was an der Unverfügbarkeit dieser Erfahrung liegt. Otto Scharmer (2019, 76) organisiert Solo- und Stilleerlebnisse in der Natur und meint, dass man bei Menschen, die von solchen Erlebnissen zurückkommen, sofort eine neue Präsenz oder Gegenwärtigkeit spürt. Auch nach Rosa (2018, 456-7) gilt der Rückzug in die («unberührte») äussere Natur noch immer als eine der verlässlichsten Methoden, die Stimme unserer inneren Natur (gegen den «Lärm der sozialen Welt») vernehmbar zumachen. Die Natur ist in der Kultur der Moderne eine zentrale, vielleicht die zentrale Resonanzsphäre; in ihr begegnen die Subjekte einer Entität, welche die für Resonanz konstitutive Bedingung des tendenziell Unverfügbaren, Widerständigen, Eigensinnigen, aber eben auch des Antwortenden erfüllt (ebd.). Über die Verbundenheit der Natur empfehle ich als Literatur u.a. «Alles fühlt» von Andreas Weber, die Autorin Florianne Köchlin, die in ihren Büchern anhand zahlreicher Beispiele aufzeigt, wie vernetzt und intelligent die Natur zusammen wirkt und aktuelle Forschung zum Thema Mykorrhiza (Symbiose zwischen Bäumen und Pilzen).
Naturentfremdung
Entfremdung definiert als Gegenbegriff zur Resonanz eine spezifische Form der Weltbeziehung, in der Subjekt und Welt einander unverbunden gegenüberstehen (Rosa 2018, 316). Es ist ein Zustand der Beziehungslosigkeit, in der die Welt kalt, starr, abweisend und nichtresponsiv erscheint (ebd.). Dürr hat unserer Kultur nicht nur eine massive Naturentfremdung attestiert, sondern auch darauf hingewiesen, dass diese lange andauernde Entfremdung irgendwann zu einer Naturvergessenheit werden wird, was bedeutet, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, dass ihnen etwas fehlt (Seghezzi und Seghezzi, 2019, 148). Mit Angeboten des Verbunden_Seins in der Natur möchte ich dazu beitragen, einen anderen, nachhaltigeren Weg zu gehen. Dabei inspiriert mich Dürr (2018, 118) mit seiner Interpretation der Nachhaltigkeit: «Das Lebendige lebendiger werden lassen». Eine Möglichkeit, in eine lebendigere Beziehung mit der Natur und uns zu treten ist die Naturmystik.
Naturmystik
Ursula und David Seghezzi (2019, 44-49), die ihre Arbeit Naturmystik nennen, setzen sich dafür ein, die Natur nicht nur als förderliche Kulisse zu nutzen, sondern wirklich in Beziehung zu treten. Gerade auch in der erlebnispädagogischen Arbeit oder im Naturcoaching. Naturmystik ist für sie das Eintauchen in das alles verwebende Sein, die unmittelbare und ganzheitliche Erfahrung einer spirituellen Dimension oder Seelendimension des Seins, die alles Lebendige durchzieht und die Welt zu einem heiligen Ort macht (ebd.). Wie dies erleichtert wird, haben wir bereits im Kap. 2 gelernt. Damit verändert sich nicht nur unser Abdruck in der Welt zum eigenen Wohl, sondern auch zum Wohl des grösseren Ganzen, zum Wohl des Lebens an sich (Seghezzi und Seghezzi, 2020, 153). Wenn wir Naturverbundenheit konsequent leben und weiterdenken, wirkt sie politisch und gesellschaftsverändernd (Seghezzi und Seghezzi, 2020, 21). Da kann ich nur zustimmen und freue mich, Verbunden_Sein immer wie mehr in mein Leben und Wirken zu integrieren!
Meine These ist, dass die Fähigkeit, in einen verbundenen Bewusstseinszustand zu kommen, für die systemische Erlebnispädagogik sehr wichtig, wenn nicht sogar notwendig ist. Ich habe das Gefühl, dass es diese Achse des Verbunden_Seins braucht, um in der Leitung Räume zu schaffen und zu halten. Um wahrzunehmen, was es gerade braucht. Um in der Begleitung von Menschen in Entwicklungsprozessen wirklich präsent zu sein, statt in eigenen Vorstellungen, Urteilen, Ängsten etc. festzuhängen. Um wirklich in Beziehung, in Resonanz treten zu können. Und tatsächlich schreiben Kreszmeier und Hufenus (2000, 136), dass die Führungs- und Leitungsachse die Verbindung zwischen Oben und Unten, zwischen Innen und Aussen herstellt. Das heisst für mich Verbunden_Sein.
Da wir herausgefunden haben, dass sich Verbunden_Sein nicht willentlicher Kontrolle unterwirft, ist dies ein Wagnis in der Leitung, eben ein Loslassen und Vertrauen und eine besondere Herausforderung dieser nicht einfach planbaren Arbeit. Spannend ist, dass das Wort «Leitung» in seiner Wurzel auf den indogermanischen Begriff «leith» zurückgeht und so viel bedeutet wie «nach vorne gehen», «die Schwelle überschreiten» oder «sterben» (Scharmer 2019, 45). Die Haltung von Demut, Liebe und Dankbarkeit fürs Verbunden_Sein erweitere ich in der Leitung mit einer systemischen Haltung, insbesondere der Ressourcenorientierung. Darauf zu vertrauen, dass das, was ist, wertvoll ist und gebraucht wird (Kreszmeier und Hufenus 2000, 39) heisst auch, eigene Pläne, Urteile und Meinungen loslassen zu können.
In meinen eigenen Praxisprojekten habe ich wahrgenommen, wie sich mein Bewusstseinszustand beim Leiten und Begleiten verändert in das, was ich als Verbunden_Sein beschreibe. Ich spüre, dass ich dabei in ein anderes Feld eintrete und für den Prozess wertvolle Impulse erhalte, von denen ich intuitiv fühle, dass diese jetzt genau richtig sind. (Mögliche Erklärungen, warum wir in diesem Zustand Zugang zu Informationen haben, sind die morphischen Felder von Sheldrake (1985) und Bohm’s implizite Ordnung.) Ich bin in einer Art Flow-Zustand, wo ich voll mit meiner Tätigkeit des Prozessbegleitens verschmelze. Damit dies möglich ist, gehe ich mit offenem Herzen (mehrheitlich) in einen rezeptiven Bewusstseinszustand und lasse los. Gleichzeitig brauche ich aber auch Präsenz. Es ist ein Spannungsfeld zwischen verschiedenen Bewusstseinsmodi (siehe Kap. 3): Einerseits Empfangen, Loslassen, dem Prozess Raum geben, diesen halten und gleichzeitig in der Führungsrolle stehen, Verantwortung tragen und Intervenieren, falls nötig. In diesem Feld kommt es sehr auf meinen eigenen Zustand und meine innere Haltung an. Energie folgt nach Scharmer (2019, 14) der Aufmerksamkeit und Form dem Bewusstsein. Ich zitiere Bill’O’Brien (in Scharmer 2019, 11): «Der Erfolg einer Intervention hängt vom inneren Zustand des Intervenierenden ab.» Es ist also wichtig, dass ich gut zu mir schaue.
Die Raumqualität, die die Leitung, die Gruppe und die Natur gemeinsam co-kreieren, unterstützt das Eintreten in den oben erwähnten Bewusstseinszustand. Das entstehende Feld ist ein Raum der Resonanz und des Verbunden_Seins miteinander, mit sich und der Welt. Die bewusste Wahrnehmung der Raumqualität und des eigenen Zustandes ermöglicht, gezielt (so gut dies eben möglich ist) eine Intervention zu treffen, wenn eine Veränderung gewünscht ist. Für die Raumqualität ist eine bewusste Raumgestaltung essenziell. Der Ästhetik des Raumes sollte dabei besondere Aufmerksamkeit gegeben werden. Leere kann ebenfalls sehr wirkungsvoll sein und ist sogar oftmals notwendig für den Fokus aufs Wesentliche. Die verschiedenen Naturräume wirken in ihrer Qualität sehr unterschiedlich, was bewusst eingesetzt werden kann. In der Raumgestaltung geht auch darum zu schauen, dass alle in ihren Ressourcen gesehen und gehört werden. Andrea Zuffellato sagte uns im SVEB-Ausbildungskurs, er verstehe sich diesbezüglich als Bühnenbauer. Verschiedene Studien haben gemäss Rosa (2018, 641) belegt, dass die Raumgestaltung einen grossen Einfluss auf die Stimmung, die körperliche Haltung und die Offenheit für Resonanzerfahrungen der Individuen haben kann. Bei Scharmer (2019, 119) geht es darum, mit der Gestaltung des Raumes, einem intentionalen Moment der Stille, dem Zuhören ohne Urteilen und bedingungsloser Liebe das «Gefäss» (ich nehme an sich selbst, die Gruppe und das Feld) in Resonanz zu bringen. Auch hier begegnen wir wieder den unterstützenden Faktoren fürs Verbunden_Sein. Wenn wir diesen in der Leitung bewusst sind und sie selbst leben, erleichtert dies die Herstellung einer besonderen, verbundenen Raumqualität.
Als Training fürs Verbunden_Sein und für eine verbundene, offene Wahrnehmung empfehle ich neben dem schöpferischen Hören (Kap. 1) folgende Übungen, die ich aus eigener Erfahrung kenne. Sie unterstützen mich als Training, aber auch als direkte Vorbereitung für die Leitung von erlebnispädagogischen Angeboten.
In diesem Fachartikel habe ich Verbunden_Sein erforscht und dabei vielfältige Einblicke für mich persönlich und meine Praxis als systemische Erlebnispädagogin erhalten. Die Forschungsarbeit hat mich begleitet, inspiriert und in meiner Entwicklung unterstützt. Dabei wurde mir noch bewusster, warum mir Verbunden_Sein so wichtig ist.
Verbunden_Sein ist ein Bewusstseinszustand, den Präsenz, Offenheit, Beziehung, Zugehörigkeit Lebendigkeit und eine Haltung von Demut und Dankbarkeit kennzeichnen. Der Zustand ist ein Grundbedürfnis und verwandt mit dem des Gewahrseins, der Resonanz, Flow und dem schöpferischen Hören. Die grösste Übereinstimmung besteht mit der Resonanz. Verbunden_Sein bedarf der Resonanz, des Aufeinander-Einschwingens, in Beziehung Tretens und Berührens. Es ist ein mehrheitlich rezeptiver Zustand, in dem der Zugang zur Intuition und einer anderen Art von Erkenntnis erleichtert wird. Dafür ist es nötig, die Dominanz des alltäglichen instrumentellen Modus einzuschränken.
Es gibt verschiedene Faktoren, die das Verbunden_Sein unterstützen, beispielsweise Offenheit, die Bereitschaft loszulassen und das Training der eigenen Wahrnehmung. Allerdings ist es immer ein Geschenk, Verbunden_Sein zu erleben. Der Zustand unterwirft sich nicht willentlicher Kontrolle. Gleichzeitig gibt es basierend auf den Erkenntnissen der Quantentheorie keine Trennung. Wirklichkeit offenbart sich als Potenzialität, als Einheit oder Ganzheit, zu der wir alle dazugehören. Diese Ganzheit ist ständig im Wandel und in Beziehung. Verbunden_Sein ist nicht nur persönliches Glück, sondern auch eine Haltung und transformative Praxis: Wenn wir mit trennendem Denken aufhören, wird die Welt ganzheitlicher antworten! Die Begegnung mit der Natur, als Teil der Natur, ist eine der wirksamsten Möglichkeiten fürs Verbunden_Sein. Dabei ist es wichtig, die Natur nicht nur als förderliche Kulisse zu nutzen, sondern wirklich in Beziehung zu treten.
Die Erkenntnisse der Quantentheorie bilden die Basis für die Wirkkraft der systemischen Arbeit. Für die KRPG nehme ich weiter mit, dass es wichtig ist, selbst möglichst verbunden zu sein, die Leitungsachse wahrzunehmen und dass mein eigener Zustand und meine eigene Haltung einen grossen Einfluss auf den Prozess haben. Prozessgestaltung ist ein gemeinsames co-kreieren, wobei der Raumgestaltung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. In der Leitung braucht es den Mut, mit offenem Herzen loszulassen, dafür entstehen Räume des Verbunden_Seins mit transformativem Potenzial.
«Die Entstehung der Welt und die Aufhebung der Welt sind nicht in mir; sie sind aber auch nicht ausser mir; sie sind überhaupt nicht, sie geschehen immerdar, und ihr Geschehen hängt auch mit mir, mit meinem Leben, meiner Entscheidung, meinem Werk, meinem Dienst zusammen.»
Martin Buber