“Wieviele Feuer hast du in deinem Leben schon entfacht?”
Eine Frage, die wir gerne zu Beginn eines Projektes oder einer Ausbildung stellen. Menschen mit wenig Feuererfahrung sind dabei keine Seltenheit. Natürlich – wir sitzen nicht mehr täglich an einem Feuer. Im Alltag ist es oft eher etwas Dekoratives in einem Cheminée oder das i-Pünktchen auf einer Kerze. Eine elementare Notwendigkeit ist das Feuer meist nicht. Seine vielfältigen Qualitäten hingegen schon – wer hat es nicht gerne trocken und warm? Wer schätzt nicht das Licht in dunkler Jahreszeit oder den Herd, der in Sekundenschnelle heiss wird? Omnipräsent sind die physischen Qualitäten und mit ihnen die psychischen Entsprechungen. Reich ist der Schatz an Redewendungen und Metaphern: Feuer und Flamme sein, Öl ins Feuer giessen, brennende Liebe…
Aber wo ist das Original? Zu besonderen Anlässen greift auch der moderne Mensch gerne darauf zurück. Keine Jahreszeit, kaum ein Jahresfest, bei dem das Feuer nicht in irgendeiner Form seinen Platz hätte: Osterfeuer und -kerzen im Frühling; Lampione, Feuerwerk und Höhenfeuer zum 1. August; Laternen- und Räbeliechtliumzüge folgen im Herbst und gehen über zum grossen Lichterfest um die Wintersonnenwende, die Weihnacht. Vereinzelte Fasnachtsfeuer runden den Jahreskreis ab.
Das Feuer macht etwas mit uns. Wie den Nachtfalter zieht es den Blick ins Feuer hinein und löst ihn darin auf. Ungeordnete Menschenmengen bilden sofort Kreise, deren Mittelpunkt und Durchmesser vom Feuer bestimmt werden. Im orangen Lichtschein werden grelle Kleiderfarben geglättet, das Sehen wird versunkner und Gemeinschaft greifbar. Die Dynamik der Flammen, ihr Züngeln und Hochlodern, das Prasseln und Funkenstieben, der gemächliche Rückgang und die wohlig-hypnotische Glut haben eine tief körperliche Resonanz. Einem berührenden oder packenden Musikstück gleich vermag ein Feuer uns zu ergreifen. Unsere sinnliche Körperlichkeit, die vor dem alltäglichen Bildschirm verhungert, bekommt Nahrung beim Knacken des Holzes, beim Ausstrecken der kalten Finger und beim Erschnuppern des dampfenden Feuereintopfes. Dass wir so empfänglich sind für das Original, dass wir mit allen Sinnen gefesselt werden können, wird wohl auf den beispiellosen Aufschwung zurückgehen, den die Gattung Homo mit dem Feuer in der Hand erlebt hat. Seit Hundertausenden von Jahren gibt es uns keimfreie und gut verdaubare Nahrung, Wärme, Schutz und Licht und damit einen erweiterten Raum für soziale Kontakte. Es ist uns offensichtlich in jede Faser eingeprägt, dass wir beim Feuer zur Ruhe kommen dürfen. Am Feuer darf der Mensch Mensch sein. Noch bei den Römern konnte sich jeder – egal ob Freund, ob Feind – Feuer von einem Feuer holen. Und in den Alpen gab es das Gebot, dass auch Angehörige eines verfeindeten Volkes sich zu einem Feuer setzen durften. Im Kreis ums Feuer sitzen alle in der ersten Reihe. Digitale Bubbles platzen bei analoger Begegnung. Wenn Menschen reden und gehört werden, wenn sie gemeinsam singen oder schweigen, wenn sie einfach genügen, so wie sie sind, dann ist Feueranzünden konkrete Friedensarbeit.
“Wieviele Feuer hast du in deinem Leben schon entfacht?”
Das ist vielleicht gar nicht so wichtig. Aber gib deinem nächsten die Chance, dich berühren zu können. Und vielleicht gelingt dir das Kunststück, wieder einmal darüber zu staunen.
Falls dich die Kunst des Lagerfeuers interessiert, könnte das Seminar «Outdoor Basics» etwas für dich sein und wenn du am Feuer besondere Köstlichkeiten zubereiten magst, empfehlen wir dir das Seminar «Wildnis Delikatessen»
Stefan Held
Bei planoalto seit 2015. Lehrer und Erlebnispädagoge, Heilpädagoge im stationären Setting, Erwachsenenbildner, Weiterbildung in systemischer Gesprächsführung, transpersonaler Coach