Der Artikel wurde erstmals unter dem Titel «Dem Feuer ist es egal, wie alt du bist» in der Ausgabe 6/2021 von e&l – erleben und lernen. Internationale Zeitschrift für handlungsorientiertes Lernen veröffentlicht. Der Blogartikel ist eine leicht gekürzte und überarbeitete Fassung.
Erlebnispädagogische Methoden und die Ansätze des handlungsorientierten Lernens kommen auch in der Arbeit mit Erwachsenen zum Einsatz. Bei planoalto sprechen wir von erfahrungsorientierter Erwachsenenbildung, wir begleiten aber auch Teamentwicklungs- und Coachingprozesse in der Natur und leiten Outdoor Trainings. Hier folgt ein kleiner Einblick in unsere Praxis:
Der Pulverschnee glitzert und knirscht unter den Schneeschuhen. Vier Grüppchen bahnen sich ihren Weg durch die verschneite Landschaft, sie schauen auf ihre Landkarten und gleichen die Bilder der Umgebung mit der abgebildeten Topografie ab, sie diskutieren, orientieren sich und wechseln sich beim Vorspuren ab. Wir sind mit zwanzig «young talents», so werden die aufstrebenden Führungskräfte in ihrem Mutterkonzern genannt, unterwegs in den Bergen. Einige Stunden später trudeln die Gruppen bei der einfachen Berghütte ein und werden von uns mit einem warmen Tee empfangen. Bald geht es ans gemeinsame Kochen, doch vorher sollen noch Schneehöhlen für das erste Nachtlager gegraben werden. Hier draussen will jedes Stück Komfort erarbeitet werden…
Ziele unseres erlebnispädagogischen Teamtrainings sind die Förderung von Initiative, Ressort übergreifender Kommunikation und Kooperation. Zudem legen wir einen Fokus auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Führungsbiografie sowie dem Bild, wie die jungen Persönlichkeiten gerne einmal führen möchten.
Einige der Teilnehmenden waren überrascht, wie sich bereits in der ersten Aufgabe, in Kleingruppen zur Hütte zu navigieren, persönliche Prägungen und Muster zeigten. Im Verlauf des viertägigen Outdoortrainings verbinden wir Naturerlebnisse und Outdoorskills mit handlungsorientierten Lerneinheiten, individuellen Reflexionsgefässen und Gruppen-Lern-Settings, zudem fliessen einige Kreativtechniken und szenische Arbeitsformen aus der Methodenpalette der Systemischen Erlebnispädagogik ein. Wir tauchen sowohl gestalterisch als auch im Gespräch in die eigenen Prägungen und Motive ein und thematisieren die individuellen Erfahrungen mit führen und geführt werden. Und so wie wir beim Finden der Route die Landkarte mit der Landschaft abgleichen mussten, gleichen wir auch die Theoriemodelle zu Führung und Gruppendynamik mit dem sichtbaren Geschehen und den gemachten Erfahrungen ab. Es ist spannend zu sehen, wie sich Menschen in den natürlichen Handlungssettings, welche wir in Outdoortrainings schaffen, innert kürzester Zeit nahekommen, selbst über unterschiedliche Herkunfts-Kontexte oder auch Hierarchiestufen hinweg, wie sie in profunde Gespräche eintauchen und ein konstruktives Miteinander entsteht.
Die jungen Führungskräfte kommen aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen, Abteilungen und Standorten, sie bringen verschiedene Kompetenzen, Qualifikationen und Aufgabenbereiche mit und haben sich in den meisten Fällen erst über die Teilnahme am «young talents» Programm kennengelernt. Beim Iglubauen wechseln wir die Rollen mehrmals, so dass alle mal Blöcke gesägt, transportiert und aufgebaut haben. Die Nacht unter der Schneekuppel, die durch diese vielen gemeinsamen Handgriffe entstanden ist, wirkt sehr verbindend, die Power und die Unmittelbarkeit der Zusammenarbeit sind evident. Am Morgen erscheinen strahlende Gesichter zum Frühstück. Zufriedenheit, auch Stolz und pure Freude sind spürbar. In der folgenden Reflexionsrunde und «Führungs-Philosophiestunde» wird deutlich, welche Bedeutung die gelebte Haltung der Leitung auf die Kultur in der Gruppe hat.
«Die Aspekte der systemischen Grundhaltung, wie wir sie bei planoalto definiert haben: Wertschätzung, Zuversicht, Ressourcenorientierung, Lösungsfokus und Bescheidenheit, tragen dazu bei, dass sich in Gruppen und Teams eine konstruktive, vertrauensvolle und lebensförderliche Atmosphäre etabliert. Gutes Gelingen, ein freudvolles Klima und erfolgreiche Zusammenarbeit entstehen nicht von ungefähr, wir haben in der Führung unter anderem durch unsere gelebte Haltung einen grossen Einfluss auf diese Dynamik und Entwicklung.»
Im weiteren Verlauf des Outdoortrainings reflektieren die jungen Führungskräfte, welches ihre zentralen Werte sind, wo diese mit den Werten ihres Unternehmens übereinstimmen und wo sie sich reiben. Es wird deutlich, dass Abweichungen von den aufgeschriebenen zu den tatsächlich gelebten Werten ein häufiger Anlass für Unstimmigkeiten sind. So sind wir schon mitten im Transfer. Die Auftraggeberin investiert in die Ausbildung und Entwicklung der Führungskräfte auch um Innovationen zu begünstigen und das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. Es ist deshalb durchaus erwünscht, dass die Führungskräfte aus dem Outdoortraining nicht nur mit den gewünschten Learnings und guten Erfahrungen zurückkommen, sondern auch mit unbequemen Fragen und klareren Vorstellungen, wie sie selbst gerne führen möchten.
Die Rückmeldungen der Teilnehmenden zum Abschluss des Outdoortrainings waren sehr berührend. Viele sind bei den natursportlichen Elementen über sich hinausgewachsen oder haben ihren Horizont erweitern können. Besonders war aber vor allem, welche Inspirationen sie für ihr zukünftiges Führungsprofil mitnehmen wollten. Jede:r hat für sich einen eigenen Wertekompass in einer Kreativtechnik mit Naturmaterialien entwickelt und den Kolleg:innen präsentiert. Diese Kompasse können in der Hektik des Arbeitsalltags Orientierung geben und für Entscheidungen beigezogen werden. Das Miteinander wurde spürbar und Verbindungen wurden gestärkt.
Vom Wissen ins Tun kommen
Outdoortrainings und erlebnispädagogische Interventionen stehen oft unter dem Verdacht mangelnder Anschlussfähigkeit und Alltagsrelevanz. Dieser Vorwurf ist wohl teilweise auch damit begründet, dass die emotionale Intensität der gemeinsamen Erlebnisse überhöhte Erwartungen befeuert. Manchmal sind die Ergebnisse wirklich besonders kraftvoll und nachhaltig, aber realistisch gesehen kann ein gemeinsames Wochenende kaum eine über Jahre gewachsene Charaktereigenschaft oder eine seit langem verhärtete Teamkultur verändern. Wir sind überzeugt, dass Bescheidenheit schon in der Auftragsklärung angebracht ist. Sicher, Erfahrungslernen hat viele Vorteile und erlebnispädagogische Methoden eignen sich für persönliche und soziale Kompetenzentwicklung besonders gut, aber viele Lernerfahrungen brauchen Zeit und müssen gehegt und gepflegt werden, damit aus den «Lern-Setzlingen» dereinst starke «Kompetenz-Bäume» werden.
Als erfahrungsorientiertes Institut leben wir in unseren Lehrgängen vor, was uns für zukünftige Erlebnispädagog:innen, Outdoor Guides und Outdoortrainer:innen wichtig ist. Wir sprechen die Menschen mit ganzheitlichen Lernsettings an und versuchen, sie immer wieder bei ihren Ressourcen abzuholen und Gelegenheiten zu schaffen, sich mit ihren Talenten einzubringen.
Erfahrungsorientierte Settings haben den Vorteil, dass die Menschen ganzheitlich angesprochen werden und dass sich Erlebnisse oft tiefer einprägen, als blosse Theoriesequenzen. Aus diesem Grund hat Erfahrungslernen das grössere Potenzial, wirklich verhaltensverändernd zu wirken. In so vielen Lebensbereichen fehlt uns als Individuen, aber auch als Gesellschaft, nicht an Wissen, sondern an der konsequenten Umsetzung. Damit die Bereitschaft, dem Wissen entsprechend zu handeln, wachsen kann, sind Lernerlebnisse und Lernerfahrungen vielversprechender, als die weitere Ansammlung von noch mehr Wissen.
Wir haben im Rahmen unserer Arbeit begonnen, Ziele auf den Ebenen des Erkennens und des Wandels zu unterscheiden. Erlebnispädagogische Settings eignen sich grundsätzlich für beides. Wir erleben oft, dass der Raumwechsel in die Natur und die Arbeit mit unmittelbaren und einfachen Handlungsbezügen sehr rasch Ressourcen, Dynamiken, Kommunikationsmuster und blinde Flecken bei Einzelnen und in Gruppen sichtbar machen. Im besten Fall zeigen sich Ressourcen, auf denen aufgebaut werden kann, tauchen neue Erkenntnisse auf, zeigen sich alternative Lösungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen. Wir haben dann Ziele auf der Ebene des Erkennens erreicht, sind aber in Bezug auf den Wandel auch noch nicht wirklich weiter.
Manchmal gibt es jene besonderen Lernmomente, wo jemand nicht bloss erkennt, sondern sich ein Veränderungsschritt vollzieht. Es sind jene Momente, die wirklich prägend und verändernd sind – und der Wandel dann zuweilen auch nicht mehr umkehrbar ist. Oft brauchen aber die Ziele auf der Ebene des Wandels, also effektive Verhaltensänderungen, die Erweiterung der Möglichkeiten und das Integrieren neuer Strategien mehr Zeit, längere Erprobungsphasen und achtsame systemische Einbettung, als wir in einem kurzen Outdoor-Setting bieten können. Hier braucht es eine gute Einbettung, ein Dranbleiben und gezielte Wiederholungen.
Verführungen und der innere Kompass
Mit Menschen in der Natur zu arbeiten hat also ein kraftvolles Potenzial. Wir sehen darin aber auch eine grosse Verantwortung, denn es stellen sich rasch Fragen, wie:
→ «Wozu wollen wir mit unserer Arbeit beitragen?» Soll ein Team z.B. effizienter darin werden, natürliche Ressourcen aufzubrauchen und Umweltschäden in Kauf zu nehmen oder sogar aktiv dazu beizutragen?
→ «Wann machen wir Kompromisse?» Etwa, wenn klar ist, dass das vorhandene Zeitfenster nicht mit den erwünschten Zielen vereinbar ist, die Auftraggeberin aber trotdem das Programm draussen wünscht.
→ «Welchen Werten und Themen sind wir treu?», z.B. wenn ein Team nach dem Outdoor-training gleich noch die nächsten fünf Action-Pakete und Events anhängt.
Wir haben über die Jahre viele verschiedene Organisationen und Institutionen begleiten dürfen. Wir konnten dabei Erfolge feiern und wir haben uns auch immer wieder verrannt und auch ab und zu verbrannt… Aus diesem gewachsenen Erfahrungsschatz haben wir für unsere Trainings einige Prinzipien entwickelt, die wir beiziehen, wenn eine Anfrage an uns gestellt wird.
Entwicklung anstatt Event
In der Ziel- und Auftragsklärung gilt es, genau hinzuschauen und hinzuhören, worum es geht. Steht das gemeinsame Erlebnis im Vordergrund oder sind Lern- und Entwicklungsschritte gewünscht? Sind die Ziele für alle Beteiligten klar und transparent kommuniziert? Wenn sich ein Team mit einem Thema auseinandersetzen möchte, gestalten wir zu diesen Entwicklungszielen das passende handlungsorientierte Lernsetting, in denen sich Lernen und Erleben vereinen und zu Lernerlebnissen mit transformativem Potential werden können.
Ausrichtung anstatt Ausbeute
Uns wählen Kund:innen weil sie an einer enkeltauglichen Ausrichtung interessiert sind, weil sie Menschen mit ihren Ressourcen und Potenzialen wertschätzen und Vertrauenskulturen entwickeln wollen. Ihnen sind die Ausrichtung der eigenen Arbeit und die gelebten Werte wichtiger als einseitige Gewinnoptimierung oder Wachstumsstrategien.
Einfach anstatt spektakulär
Unsere Ansätze fordern zur Reduktion auf. Die kleinen, alltäglichen Handlungsbezüge stehen im Zentrum. Auf längere Unternehmungen nehmen wir alles, was wir für diese Zeit benötigen, mit und werden somit auf natürliche Art und Weise zur Auseinandersetzung mit Suffizienz eingeladen. Das persönliche aber auch das Teamlernen lebt von den gemeinsamen und einfachen Erlebnissen am Feuer, beim Kochen oder im Gespräch. So wird das Tiefe sichtbar.
Kreieren anstatt konsumieren
Kompetenzentwicklung entsteht nicht durch Konsum. Die erfahrungsorientierten Settings, welche wir anbieten, fordern die Menschen auf mitzugestalten, anzupacken und gemeinsam etwas zu erreichen. Erfolg ist das was folgt. Co-Kreation ist ein ganzheitlicher Akt, bei dem sich Menschen mit allem, was sie haben, einbringen können. Unsere Lernsettings sprechen deshalb Kopf und Körper, Gefühle und Seele der Menschen an.
Resonanz statt Effizienz
So tragen wir unser Möglichstes dazu bei, dass Menschen Resonanzerfahrungen machen können. Dass sie der Natur wieder näher kommen – auch ihrer eigenen.
Wahrnehmungsschulung im Kontext von VUCA
Im jüngeren Management ist der Begriff VUCA-World en vogue – für volatil unsicher, komplex und mehrdeutig. Für Erlebnispädagog:innen, Outdoor Guides und Outdoortrainer:innen gehören diese Aspekte ganz natürlich dazu, denn wechselnde Wetterbedingungen, Gruppenprozesse, Co-Kreationen, persönliche Ziele und Gruppenziele, Reflexionsrunden usw. zeichnen sich genau dadurch aus. In der Ausbildung sind Wahrnehmungsschulung und Methodenkompetenz daher wichtige Elemente. Menschen lernen Komplexität zu erkennen und darin zu navigieren. Sie entwickeln Handlungskompetenzen und einen eigenen Wertekompass für den Umgang mit Unsicherheiten und die Integration von Mehrdeutigkeit.
Systemische Erlebnispädagogik, erfahrungsorientierte Erwachsenenbildung, Teamentwicklung und -trainings in der Natur sind somit aktuell und relevant. Diese Ansätze entsprechen unseren natürlichen Konstitutionen und Lernprozessen und sie haben eine besondere Bedeutsamkeit genau für die heute aktuellen Themen. Die Natur ist dabei für uns nicht nur ein wunderbar inspirierender Lernraum, sie erinnert uns auch immer wieder daran, dass wir selber Natur sind, woraus unsere Empfänglichkeit für das Verständnis natürlicher Kreisläufe und Zusammenhänge, sowie für ein lebendiges Um-, Mit-, Für- und Ineinander wachsen kann. Dies scheint wichtiger denn je!
Literatur:
Covey, Stephen R. (2007): Die 7 Wege zur Effektivität. Gabal: Offenbach.
Laloux, Frederic. (2014): Reinventing Organizations. Vahlen: München.
Rosa, Hartmut. (2019): Resonanz. Suhrkamp: Berlin.
Scharmer, Claus Otto (2009): U-Theorie. Carl-Auer: Heidelberg.
Senge, Peter M. (2006): Die fünfte Disziplin. Klett-Cotta: Stuttgart.
Sennett, Richard (2012): Zusammenarbeit. Hanser: Berlin.
Simon, Fritz B. (2004): Gemeinsam sind wir blöd. Carl-Auer: Heidelberg.
Zuffellato, Andrea und Kreszmeier, Astrid H. (2007): Lexikon Erlebnispädagogik. Ziel: Augsburg.
Zuffellato, Andrea. (2014): Führung lernt man draussen – Bewährungssituationen als Kompetenzerwerb. NZZ Libro, Zürich.
Zuffellato, Andrea: Führungserfahrung durch Outdoortrainings. In: Sand (Hrsg.): Leadership und Guiding. S.150 ff (2020). UVK, München.
Zuffellato, Andrea: Führungstraining in der freien Natur. In: Personal Schweiz. S. 43-44 (April 2015).