Co-Geschäftsleiterin Discuss it (politische Bildung), Politologin, Projektbegleitung in den Bereichen Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Soziale Innovation, politische Bildung und Partizipation; ehrenamtliche Engagements in unterschiedlichen Vereinen zu gesellschaftlichen Themen (Umwelt, Jugendförderung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung etc.).
Bei meinen vielseitigen Aufgaben sind mir die Themen Team- und Organisationsentwicklung immer wieder begegnet. Ich glaube, dass die Erlebnispädagogik für die Begleitung von Teams und Menschen in Veränderungsprozessen einen grossen Beitrag leisten kann, das oftmals fehlende Fundament für Veränderungsprozesse hin zu neueren Organisationsformen/-strukturen aufzubauen.
Fachartikel aus der Diplomarbeit im Lehrgang Systemische Erlebnispädagogik:
“Das Weltbild in einer bestimmten Kultur wird so selbstverständlich von den Menschen dieser Kultur als wahr erlebt, dass sie ihre Annahmen für die objektiv gegebene Wirklichkeit halten. Sie leben gewissermassen gemeinsam in einem kollektiven Weltbild. Und weil die Menschen einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit alle mit diesem Weltbild leben, ist es für sie kaum möglich zu sehen, dass ihr subjektives Weltbild nicht identisch mit der Wirklichkeit ist.”
Seghezzi und Seghezzi 2017
Wir Menschen handeln so, wie wir die Welt verstehen. Unser Weltbild oder Weltverständnis formt unser Denken, unser Handeln, aber auch wie wir uns organisieren und strukturieren. Unser Weltbild prägt also unser Verständnis von Familie, Beziehungen und Arbeit. Gerade Arbeit macht ein grosser Teil des Alltags vieler Menschen aus. Mehr als acht Stunden verbringt die Mehrheit der arbeitstätigen Bevölkerung fast jeden Wochentag damit. Wie wir diese Arbeit tätigen, ist geprägt durch die jeweilige Struktur und Kultur eines spezifischen Arbeitsverhältnisses.
Wir leben in Zeiten grosser gesellschaftlicher Herausforderungen, die auf verschiedensten Ebenen nach Veränderungen verlangen. In diesem Kontext macht es Sinn, sich auch auf das Thema Arbeit zu konzentrieren. Hier verbringen wir einen Grossteil unseres Lebens und die dort vorherrschenden Verhältnisse prägen uns stark in unserem Verhalten. Viele Menschen starten im privaten Umfeld persönliche Veränderungen, doch fällt es oftmals schwer, diese Veränderungen auch im Arbeitsalltag zu leben. Oftmals bleibt dann nur das Verlassen des Arbeitsverhältnisses oder das Resignieren vor der Veränderung. Was wäre jedoch, wenn man Arbeit an sich auch aus dem gegebenen System heraus verändern könnte? Also ein Systemwandel anstatt ein Systembruch? Dieser sogenannte Wandel stellt eine grosse Aktualität in der Arbeitswelt dar. Es gibt viele Ansätze und Konzepte, hin zu neuen Arbeitsformen und -verhältnissen. Doch in der Umsetzung hapert es oftmals. Ich glaube, die systemische Erlebnispädagogik (SEP) kann hierbei einen bedeutenden Beitrag leisten. Denn über den erfahrungsorientierten Zugang können Entwicklungsprozesse angestossen werden, die auf rein theoretischer und konzeptioneller Ebene schlichtweg nicht möglich sind.
Weshalb sprechen wir überhaupt von Veränderung? Was muss sich denn überhaupt verändern? Schauen wir uns den aktuellen Zustand unseres Planeten an, so lässt sich die Notwendigkeit von Veränderung leicht erklären: Das menschliche Handeln, insbesondere in den letzten zwei, drei hundert Jahren, hinterlässt seine Spuren: Umweltverschmutzung, Biodiversitätsverlust und beschleunigter Klimawandel sind die grossen Herausforderungen unserer Zeit. Wollen wir kommenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen, so müssen wir Lösungen dafür finden. Doch weshalb sind wir überhaupt an diesem Punkt? Was für ein Weltbild lebt die dominierende Gesellschaft, die uns und unseren Planeten in diese missliche Lage gebracht hat?
Ein Grossteil der sogenannten “westlichen” Welt, also die stark industrialisierten, primär auf der nördlichen Hemisphäre lokalisierten Länder, lebt heute nach einem dualistischen Weltbild der Trennung und der Entfremdung: die Trennung von sich selbst, zu seinen Mitmenschen und zu der Umwelt die uns umgibt. Wir leben stark abgetrennt von unseren Emotionen und lernen nicht mehr diese wahrzunehmen und mit diesen umzugehen. Wir leben getrennt voneinander, im wahrsten Sinne des Wortes. In der stark individualisierten Gesellschaft ist man nicht mehr aufeinander angewiesen, denn man kann sich auf allen Ebenen selbstversorgen. Doch wie ist dies zu bewerten, wenn in unserer Gesellschaft Phänomene wie Isolation und Einsamkeit gleichzeitig ansteigen? Und auch von der Natur sehen wir uns als getrennt an. Die Natur als etwas “da draussen”, etwas Getrenntes von uns, dass einige vielleicht als schützenswert erachten, aber das nicht direkt mit uns selbst in Verbundenheit steht – Naturentfremdung und Naturvergessenheit, zwei Begriffe, die diesen Umstand gut beschreiben. Die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sind Ergebnisse eben dieses Weltbildes. Diese heutige, egozentrisch geprägte Gesellschaft hat grosse Mühe, sich den drängenden Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen. Denn es bereitet uns grosse Mühe, Bedeutung dem zu verleihen, was wir nicht als Teil von uns selber erachten.
Der Ruf nach Veränderung ist gross. Einerseits gibts es aktivistische Bestrebungen, Menschenmassen, die auf die Strasse gehen und Veränderungen fordern. So ist etwa “System change not climate change” ein beliebter Ruf der aktuellen Klimastreikbewegung. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Ideen und Versuche, neue Strukturen umzusetzen, die eine systemische Veränderung ermöglichen sollen. Der Fokus dieses Fachartikels liegt auf dem Thema Arbeit und Organisation. “New Work”, “Change Management” oder “Purpose” sind Schlagwörter, welche an immer grösserer Beliebtheit gewinnen. Doch was versteht man genau darunter? Was soll dieses “neue Arbeiten” sein? Können wir unser Verständnis von Arbeit und Organisation verändern?
Historisch gesehen hat Arbeit eine grosse Entwicklung durchgemacht. Ursprünglich, so geht man heute davon aus, arbeitete der Mensch vor allem für die Selbstversorgung seiner selbst und seines Familien- oder Sittenverbandes. Als der Mensch sesshaft wurde und sich in grösseren Gemeinschaften zusammenschloss, entstanden nach und nach hierarchischere Gefüge. Zuoberst, an der Spitze herrschte ein Machthaber über sein Volk beziehungsweise seine Gruppe die gleichzeitig über minderwertige Gruppen im Sinne von Sklaven verfügten. Damals wurde Arbeit für jemanden verrichtet der herrschte und dies geschah oftmals unentgeltlich. Dieses krasse Hierarchiegefüge hat sich in den letzten Jahrhunderten schrittweise verändert und in den meisten Fällen gelockert. Heute arbeitet man mehrheitlich für Lohn in einem Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgeberin. Es besteht also auch heute in den meisten Fällen noch eine Hierarchie wo von oben herab entschieden wird. Dies geschieht jedoch nicht mehr willkürlich, sondern das Arbeitsverhältnis ist durch einen Arbeitsvertrag und Gesetze geregelt.
Es gibt verschiedene Ansätze, diese Entwicklung der menschlichen Organisations- und Arbeitsformen in Modelle zu stellen. Solche evolutionären Ansätze (vgl. beispielsweise Frédéric Laloux’ Teal Organisation) besagen, dass es ein natürlicher Prozess ist, dass wir uns von brutaler Herrschaft und starrer Hierarchie mehr zu freundlicher Kooperation und sinnhafter Selbstorganisation wandeln. Es liegt nicht im Fokus dieses Fachartikels diese Modelle vertieft zu beleuchten, noch deren Nutzen oder Korrektheit zu bewerten. Was diese Modelle aber zeigen, ist, dass menschliche Organisationsstrukturen ständig in Veränderung stehen und heute der Wunsch nach neuen Organisationsformen immer stärker wird – angeleitet durch äussere Notwendigkeiten sowie auch individuellen Wünschen.
Die Arbeitswelt hat sich wie auch alle anderen Bereiche der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten rasant verändert: Globalisierung und Digitalisierung gelten als zwei der hierfür verantwortlichen Haupttreiber. Die Komplexität hat in allen Bereichen zugenommen und macht das Sein und Handeln als Mensch herausfordernder. Der Drang, aber auch der Wunsch nach Veränderung ist gross. Sei es aufgrund der Notwendigkeit zum Überleben und Weiterbestehen (extern) oder eben auch um dem vermehrt aufkommenden Wunsch nach mehr Sinnhaftigkeit in der Arbeit und dadurch auch neuer Formen der Zugehörigkeit (intern). Man erhofft sich Lösungen für die heutigen Herausforderungen in der (Arbeits-)Welt durch neue Formate, Strukturen und Prozesse wie Holokratie, Teal Organisation, agile Unternehmen oder Design Thinking. Diese Begriffe beschreiben Vorstellungen und Konzepte, wie eine bessere, zukünftige Arbeitswelt ausschauen könnte. Doch was sind die Voraussetzungen, um diese überhaupt umsetzen zu können?
Greifen wir das in der Einleitung dargestellte Weltbild der Trennung und deren Konsequenzen auf, so lassen sich «New Work» Konzepte entlang der internen und externen Notwendigkeit von Veränderung erklären. Die externe Notwendigkeit lässt sich auch auf die Trennung gegenüber unserer Umwelt zurückführen, welche wir heute ohne Rücksicht auf die Konsequenzen ausbeuten. Weshalb treffen wir als Gesellschaft kollektive Entscheidungen, die uns (langfristig) selber schaden? Die intrinsische Notwendigkeit, der Wunsch nach Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit, wird auch durch diese Trennung zu uns selbst und unseren Gegenübern ausgelöst. In den letzten Jahrzehnten ist die Einbindung in Familienstrukturen stark gesunken und der Anteil an Singlehaushalten wächst laufend. Zudem steht bei immer mehr Menschen nicht mehr ausschliesslich die existenzielle Sicherheit im Fokus eines Arbeitsverhältnisses, sondern auch immer stärker die Zugehörigkeit zu einer Sinngemeinschaft (Fink und Moeller 2018: S. 16).
Viele «New Work» Ansätze setzen genau auf diesen beiden Ebenen an. So versprechen «Purpose Driven Organisations» eine bessere Zusammenarbeit durch die gelebte Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit. Auf der anderen Seite versuchen Ansätze wie Design Thinking, Soziokratie oder Art of Hosting bessere Formen der Zusammenarbeit und somit bessere Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu liefern. Jeder dieser Ansätze basiert dabei jeweils auf spezifischen Welt- und Menschenbildern, welche aber nicht zwingend immer die gleichen Ziele verfolgen. Bei den einen geht es mehr darum, den komplexen Herausforderungen der heutigen Welt durch mehr Partizipation und somit mehr kollektiver Verantwortung zu begegnen, andere möchten mit neuen Denkweisen neuartige Lösungen finden. Wieder andere möchten den Menschen als Ganzes wahrnehmen, um kollektiv tragbarere Lösungen zu finden – von der Hierarchie zur Selbstorganisation und kurzen Entscheidungswegen, damit sich alle gleichermassen einbringen können und effizienter gearbeitet werden kann. Was fast alle dieser verschiedenen Ansätze miteinander verbindet, ist der Aspekt der Veränderung auf systemischer Ebene. Es braucht neue Denkweisen, neue Menschenbilder und eine andere innere Haltung. Und eben nicht nur Veränderungen auf struktureller, mechanischer Ebene. «New Work needs Inner Work» schreiben die beiden Autorinnen Breidenbach und Rollow in ihrem Buch aus dem Jahr 2019. Oder Fink und Moeller (2018: 48-63), die von der Kultur und dem kulturellen Wandel in einer Organisation sprechen, welcher anderes als Programme, Kommunikationswege oder Strukturen nicht einfach angeordnet werden kann: «Zur Organisationskultur zählen Werte und Normen ebenso wie Einstellungen, Glaubenssätze und Grundannahmen, die als Entscheidungsprämissen Anhaltspunkte für die Kommunikation und für Entscheidungen liefern, aber ohne dass sie selbst direkt kommuniziert oder entschieden werden beziehungsweise wurden» (S. 61). Diesem Aspekt der inneren, kulturellen Veränderung wird in heutigen Veränderungsprozessen leider oftmals viel zu wenig Bedeutung geschenkt. Der nächste Abschnitt widmet sich dieser Lücke und der daraus resultierenden Konsequenzen.
“Doch fast alle Massnahmen, die heutzutage unter New Work laufen, greifen zu kurz und sind zum Scheitern verurteilt. So wie neue Arbeitsformen umgesetzt werden, können sie die erhoffte systemverändernde Wirkung nicht erzielen. Denn der Wandel findet nur im Aussen statt.”
Breidenbach und Rollow
Weshalb ist das so, weshalb werden innere, kulturelle Veränderungen heute immer noch so stark vernachlässigt? Einer der Gründe mag vermutlich darin liegen, dass die Gesellschaft generell und die Arbeitswelt im Spezifischen immer noch sehr stark durch ein mechanisches und rationales Denken geprägt ist. So neigen wir dazu Organisationen als Maschinen zu betrachten, die aus klar definierten, also voneinander abgetrennten Teilen bestehen. Eine solche Maschine verändert man in dem man Teile ergänzt, abändert oder neu zusammensetzt. Ein solches Denken kommt bei der Komplexität der heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen schnell an seine Grenzen. Das weitaus anspruchsvollere systemische Denken, welches ein System als mehr als nur die Summe seiner Teile versteht, ist hierfür dienlicher. Aus diesem Grund wird auch der Ruf stärker, Organisationen vermehrt als lebendige Systeme, wie wir sie in der Natur wiederfinden, zu verstehen.
Aufgrund des fehlenden Bewusstseins für die komplexe Funktionsweise von Systemen, werden Veränderungsprozesse heute oftmals immer noch sehr mechanisch angegangen. Neue Ansätze und Strukturen werden den vorhergehenden übergestülpt und die Verwunderung ist gross, wenn die bisher vorherrschende Organisationskultur nicht mitzieht. Die ganze Übung wird zu einer frustrierenden Erfahrung für alle Betroffenen: «Kostspielige Veränderungsprozesse versanden wirkungslos, wenn sie die Werte, Grundannahmen und Glaubenssätze der Organisation ausser Acht lassen» (Find und Moeller 2018: S. 62). Es besteht also oft ein grosser blinder Fleck hinsichtlich des unsichtbaren Teils des Eisberges einer Organisationskultur.
Doch ein Bewusstsein für diese unterbelichteten Teile einer Organisation(skultur) reicht alleine nicht aus, um das vorliegende Problem zu beheben. Der bekannte Deutsche Systemtheoretiker Luhmann (2000: S. 245) ist der Überzeugung: «Ein Wandel der Organisationskultur kann […] nicht entschieden oder angeordnet werden». Ein erster möglicher Schritt hinsichtlich einer Veränderung ist aber die Auseinandersetzung mit der Organisationskultur (Fink und Moeller 2018: S. 63): Sind die gelebten Werten, Annahmen und Glaubenssätzen kompatibel mit einem gesetzten Ziel hinsichtlich einer Veränderung? Passen neue Organisationsmodelle oder Prozesse auf die vorherrschenden normativen Strukturen? Dies zu beurteilen ist jedoch gar nicht so einfach, denn die inneren Dimensionen einer Organisation sind analog zum Individuum nur subjektiv erfahrbar (Breidenbach und Rollow 2019: S. 19). Der einzige Weg, der schlussendlich bleibt, ist der Anstoss von kulturellen Veränderungen mittels äusserer und innerer Impulse, ohne dass diese gezielt gesteuert werden können (Fink und Moeller 2018: S. 63). Eine minimale Anforderung an eine Organisation und alle darin betroffenen Menschen ist hierfür die Bereitschaft und Offenheit zur Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Gegenüber und dem System als Ganzes. Dies zu ermöglichen, bedingt psychologische Sicherheit und gegenseitiges Vertrauen (Breidenbach und Rollow 2019; Fink und Moeller 2018). Wo der Veränderungsprozess einer Organisation startet, hängt davon ab, wie sehr diese Grundvoraussetzungen bereits vorhanden sind oder wo sie erst noch kultiviert werden müssen.
Meine Einschätzung ist, dass die SEP hinsichtlich der zuvor dargestellten Herausforderungen einen positiven Beitrag leisten kann. Dabei soll die SEP aber nicht als Allheilmittel missverstanden werden. Es geht in diesem Ansatz nicht um lineare Lösungsvorschläge, sondern um das Ermöglichen von Impulsen im Sinne von Erfahrungen, welche Prozesse auslösen können.
Das Potential der SEP für Veränderungen in der Arbeitswelt sehe ich auf mindestens folgenden drei Ebenen:
• Systemdenken: Dem Ansatz zugrundeliegendes Weltbild
• Vom Wissen zum Handeln: Der Fokus auf Erfahrungen, dem Handeln und Machen
• Ressourcenorientierung: Starten mit dem was ist
Mit ihrer systemischen Grundausrichtung bringt die SEP eine dienliche Perspektive mit sich, die sich nicht auf Trennung, sondern Beziehung fokussiert. Sie sieht «[…] die Menschen im Verbund ihrer relevanten Beziehungen, ihrer Interaktionen, sowie ihrer beweglichen Interdependenz im jeweiligen Kontext» (Zuffellato und Kreszmeier 2012: S. 163). Ein Impuls auf individueller oder kollektiver Ebene kann innerhalb eines Systems eine Veränderung hervorrufen. Die Wirkung eines Impulses kann zwar nicht linear gesteuert werden, denn jedes System an sich ist in konstanter Bewegung. Doch kann grundsätzlich eine Veränderung angestossen werden. Im systemischen Verständnis beeinflusst die Prozessbegleitung alleine durch die Präsenz mit einer bestimmten Haltung das System, in dem sie oder er sich gerade befindet.
Darüber hinaus kann natürlich auch noch aktiver in das System eingegriffen werden. Gegebene Impulse können bei den betroffenen Individuen eine Veränderung in der Wahrnehmung ihrer Umwelt bewirken: Sie können «[…] anders und anderes wahrnehmen und damit andere (förderliche) Wirklichkeiten konstruieren» (ebd. S. 164). Angewendet auf den thematischen Sachverhalt von Veränderungen der Arbeitswelt, beziehungsweise des Arbeitsverständnisses, liegt das Potenzial der SEP also in ihrer grundlegenden Verankerung in einem systemischen Denken: Einer Denkweise, die innere Prozesse bei Menschen berücksichtigt und dort auch ansetzen möchte. In einer konkreten Anwendung, könnte man eine Gruppe aus ihrem üblichen Raum herausnehmen. So würde man beispielsweise ein Arbeitsteam für eine gewisse Zeit aus seinem alltäglichen Bürokontext herauslösen und in ein natürliches Umfeld holen, um neue Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei ist «[…] die Art und Weise der Prozessbegleitung [entscheidend] und nicht die gewählte Methode. Die Systemische Erlebnispädagogik ist also weit mehr als eine Methode und eine Anwendung systemischer «Techniken ». Sie ist vor allem eine Haltung, die durch systemische Sichtweisen geprägt ist» (Abstreiter et al. 2019: S. 220). Gerade weil man sich in der SEP bewusst ist, dass man ausschliesslich Impulse geben und nichts steuern kann, ist die Gestaltung eines Rahmens und die aufmerksame Beobachtung der Teilnehmenden sowie die Begleitung des Prozesses so zentral in dieser Arbeit (ebd.)
Mit der sogenannten «E-Kette» wird der Lernprozess von Teilnehmenden während einer erlebnispädagogischen Massnahme beschrieben. Alles startet mit einem Ereignis, einem Impuls. Dieser kann sehr unterschiedlich aussehen; ein Impuls kann die Wahl eines bestimmten Ortes, eine bestimmte Wortwahl oder auch eine konkret angeleitete Handlung sein. Je nach persönlicher Prägung der empfangenden Person wird dieser Impuls unterschiedlich wahrgenommen und erlebt, das Ereignis wird somit zu einem Erlebnis. «Erlebnisse bieten die Möglichkeit (aber nicht die Garantie!), zu einer Erfahrung zu werden […]» (Abstreiter et al. 2019: S. 48). Aufgrund der gemachten Erfahrungen können neue Erkenntnisse gewonnen werden, die in einem weiteren Kontext erprobt und somit verankert werden können. Neu gewonnene Erkenntnisse können in künftigen Situationen dazu führen, dass Herausforderungen neu bewertet werden (ebd. 49). Die E-Kette zeigt auf abstrakte Art und Weise, wie die SEP Menschen dabei unterstützen kann, theoretische Konzepte erfahrungsbasiert zu erleben und somit landen zu lassen. Dies scheint mir ein besonderes Potenzial für das Thema Veränderung der Arbeitswelt zu sein. Wie weiter oben erwähnt, werden Veränderungsprozesse viel zu oft einfach konzeptionell auf bestehende Strukturen übertragen, ohne dabei auf die zwischenmenschliche Organisationskultur Rücksicht zu nehmen. Startet man solche Veränderungsprozesse hingegen mit der eigentlichen Erfahrung, also wie es sich anfühlen könnte nach einem neuen Konstrukt zu entscheiden oder zu handeln, so würde man dieser inneren Dimension auf individueller sowie kollektiver Ebene eher gerecht. Natürlich müsste man dabei zunächst auf einer viel einfacheren Ebene starten. In einem Lernumfeld der SEP würden zunächst einmal Prozesse ermöglicht, welche jede und jeder einzelne mehr über sich selbst erfahren lässt. Kennt man sich selber, seine persönliche Haltung und sein Weltverständnis besser, so kann man auch im Kollektiv besser funktionieren, da man sich authentischer und somit klarer verhalten kann. Mehr Klarheit über eigene Denkweisen hilft auch dem Verständnis von kollektiven, unbewussten Mustern und Haltungen. Für solche Prozesse bedarf es aber auch einem gegenseitigen Grundvertrauen, damit man sich überhaupt traut so offen zu zeigen. Auch hier kann die SEP einen Beitrag leisten. Gerade das Decken von grundsätzlichen Bedürfnissen im Raum Natur, also beispielsweise dem Kochen über dem Feuer oder dem Bauen eines trockenen Schlafplatzes stellt eine Gruppe von Menschen auf eine sehr gleichgestellte Ebene. Es kommt nicht mehr so stark darauf an, ob jemand vorgesetzt ist oder jemand die tiefste Rolle im hierarchischen System einnimmt. Alle müssen gleichermassen dazu beitragen, damit in diesem ungewohnten Umfeld die Grundbedürfnisse aller gestillt werden können. Möchte man also beispielsweise in einem Team ein flacher hierarchisches Organisationmodell umsetzen, so kann eine gemeinsam gelöste Herausforderung (bspw. einen Sturm überstehen), bei der alle einen Beitrag leisten mussten, eine erste positive Erfahrung dieses neuen Organisationsmodells sein. Auf die gemachte Erfahrung, kann man sich dann auch im normalen Arbeitskontext rückbeziehen. Dieses Beispiel zeigt auch die Bedeutung eines weiteren Modells auf, welches in der SEP oft angewendet wird: Das Komfortzonenmodell. Dieses besagt, dass «[…] Menschen lernen, wenn sie Schritte aus der bekannten und zumeist bequemen Komfortzone hinauswagen, um in die Lernzone zu gelangen» (Abstreiter et al. 2019: S. 50-56).
Die SEP bietet mit ihren Herangehensweisen also einen potentiellen Ansatz, der theoretische Vorstellungen und Konzepte von neuen Arbeitsverständnissen in Form von Erfahrungen erlebbar macht. Beginnend beim besseren Verständnis seiner selbst jedes einzelnen Teilnehmenden bis hin zur kollektiven Erfahrung von neuen Formen des Entscheidens und Handelns. Somit ist es ein (Er-)Lernen durch Erfahren und Umsetzen, das viel tiefgreifender ist, als wenn man sich ausschliesslich theoretisch mit einem Ansatz auseinandersetzt. Denn wie auch Kreszmeier und Hufenus (2022: S. 49) schreiben, ist Lernen intensiver und dauerhafter, « […] wenn das Lernsetting für möglichst viele dieser Ebenen [Körper-, Gefühls-, Mental- und Geistebene] Erfahrungen, Impulse, Verstärkungen und Aufgabenstellungen bietet.»
«Das, was ist, ist wertvoll. Das, was ist, wird gebraucht. […] Diese Botschaft ist ein Schlüssel zu den Schätzen, die in Menschen, in Gruppen, in Systemen leben. Sie unterstreicht das Lebensrecht und die Würde, sie appelliert an die aktiven Kräfte, sie macht aus einem hilfsbedürftigen Opfer einen lebendigen Mitgestalter.»
(Kreszmeier und Hufenus 2000: S. 39)
Wie bereits oben erwähnt, hat die innere Haltung eines Menschen, egal ob in einer Handlung aktiv angewandt oder einfach durch die passive Präsenz, eine Wirkung im System. Um diese innere Haltung und deren potentielle Wirkung zu erläutern, verwendet Otto Scharmer (2018: S. 7) auch den Begriff Quelle oder Ursprung und stützt sich dabei auf eine Aussage eines langjährigen Gesch.ftsführers: «The success of an intervention depends on the interior condition of the intervener. […] What counts is not only what leaders do and how they do it but also their “interior condition” – that is, their inner source.»
In der Begleitung nach dem Ansatz der SEP kommt dieser inneren Haltung oder Quelle des eigenen Handelns und Seins eine gewichtige Bedeutung zu, bedeutender sogar als die eigentliche Intervention an sich. Auf den Aspekt der Ressourcenorientierung bezogen, bedeutet dies, dass man in der SEP mit dem startet, was bereits da ist und nicht, was noch fehlt oder noch nicht ist; man beginnt folglich mit der Auseinandersetzung mit sich selbst. Danach richtet man seinen Blick auf die Systeme, in welchen man sich befindet (zum Beispiel das aktuelle Arbeitsverhältnis): Was sind meine Qualitäten, Fähigkeiten und Defizite? Was stärkt mich und was schwächt mich? Wo liegen meine Bedürfnisse? Was treibt mich an? Welche Glaubenssätze habe ich mir im Verlaufe meines Lebens angeeignet? Welche dienen mir (noch) und welche möchte ich gerne loslassen? Diese Fragen können den Startpunkt zur persönlichen Auseinandersetzung mit sich selbst bieten.
Für das Verständnis und die Anwendung von «Neuem Arbeiten» ist eine gute Selbstkenntnis eine wichtige Grundbedingung für das erfolgreiche spätere Wirken im Kollektiv. Wer sich selber gut kennt und seine Bedürfnisse klar kommunizieren und Grenzen setzen kann, der oder die kann auch im Team authentischer und effizienter arbeiten. Natürlich bedarf es dazu auch ermöglichende Umfelder. Diese ergeben sich durch psychologische Sicherheit, eine gesunde Fehlerkultur sowie die Offenheit und Akzeptanz, sich als Menschen und nicht in Funktionen zu begegnen.
Die vorhergehenden Abschnitte zeigen Potenziale auf, wie die Begleitung von Menschen nach dem Ansatz der SEP einen Beitrag an erfolgreichere Veränderungsprozesse hin zu neuartigen Arbeitsstrukturen und -Verständnissen leisten könnte. Vieles davon bezieht sich auf die Haltung der Person, welche eine Gruppe in einem solchen Prozess begleitet und wie diese in einem erlebnispädagogischen Kontext zum Wirken kommt. Auf der anderen Seite ist auch die Auseinandersetzung mit den inneren, unterbewussten und nicht direkt sichtbaren Aspekten von Individuen und Gruppen von zentraler Bedeutung. Die aufgeführten Möglichkeiten beziehen sich aktuell auf theoretischen Vorstellungen von mir als Autorin. Es liegt nun an mir, meine Annahmen in der Praxis zu testen und meine eigenen Erfahrungen zum Potenzial der SEP im Kontext der Arbeitswelt zu machen. Für mich stellt sich dabei insbesondere noch die Frage, wie sich individuelle Veränderungen ins Kollektiv übertragen lassen. Hier prallen verschiedene subjektive Wahrnehmungen und Erfahrungen aufeinander und auf die bisher gelebte Kultur einer Gruppe. Dies ist eine sensible Fragestellung und benötigt eine vorsichtige und bewusste Auseinandersetzung mit einer Gruppe in deren Begleitung.
Ich bin überzeugt, dass die SEP einen grossen Beitrag ans Schliessen der Lücke zwischen Vorstellung und Umsetzung neuer Arbeitsformen leisten kann. Wie ich in meinem Angebot unter meinem SEP-Profil beschreibe: Wenn man sich als Mensch und nicht in der üblichen Arbeitsrolle begegnet – gerade bei ganz grundlegenden Tätigkeiten wie Feuermachen oder Kochen – besteht die Möglichkeit ein neues und erweitertes Verständnis voneinander zu schaffen. Fähigkeiten, die man einander nicht zugetraut oder voneinander erwartet hätte, können sichtbar werden und verhärtete Strukturen können aufbrechen. Die Naturerfahrung einerseits, aber auch das bewusste Einsetzen der weiteren Methodenfeldern der SEP bringen das Potenzial mit sich, sich selbst und seine eigene Wahrnehmung anders zu erleben und somit auf den unbewussten Ebenen, der nicht sichtbaren Seite des Eisberges, etwas in Bewegung zu bringen.